Der bunte Hund, den keiner kennt

„Der OB-Job wäre mir auf den Leib geschneidert gewesen.“ Tritt er noch mal an? „Schwere Entscheidung“

von STEFAN KUZMANY

Jetzt sieht er wieder schlecht aus. War auf Dienstreise in den USA, hat den Dienst unterbrochen und zwischendurch seinen Bruder besucht in Las Cruces, New Mexico. Es ist doch ein Kreuz. Jetzt hacken sie wieder auf ihn ein, wie letztes Jahr, bei der Bonusmeilenaffäre. „Traum-Dienstreise“, nennen sie seine Fahrt, und die Botschaft ist: Rezzo Schlauch ist ein Abgreifer. Womöglich liegt es daran, dass sie ihn nicht kennen. „Wer mich kennt“, sagt Rezzo Schlauch, Staatsekretär im Bundeswirtschaftsministerium, „wer mich kennt, weiß: Das Gegenteil ist der Fall.“

Es ist ja nicht so, dass der 55-Jährige nicht schon an Häme gewöhnt wäre. Er, der größten Wert darauf legt, gut auszusehen, mit grauen Schläfen, mit schwarzem Rollkragenpullover, mit frischem Herrenduft angetan, schaut regelmäßig schlecht aus. Wird immer wieder heruntergemacht. Ist für manche eine Hassfigur. Böse Worte fand, das ist nur ein Beispiel, der Kolumnist dieser Zeitung, Wiglaf Droste: „Den Paradeparvenü Rezzo Schlauch sah ich in einer Trattoria in Berlin-Mitte: Er lag mit dem Gesicht im Teller und schlotzte ein – kein Wunder, dass er allein am Tisch saß“, hat Droste geschrieben, und wer einmal so etwas über sich lesen musste, der wird sich wohl beim Essen nicht mehr so schnell erwischen lassen.

Kein Wunder also wohl, dass es sehr schwer ist, Rezzo Schlauch bei der Nahrungsaufnahme zu beobachten. Es ist zum Beispiel möglich, mit ihm ein Frühstück einzunehmen, ohne zu sehen, dass er tatsächlich isst. Nach dem Gespräch ist seine Müslischüssel tatsächlich leer, doch unter den Blicken seines Gastes in der Bundestagscafeteria hat er den Löffel nicht zu Munde geführt, hat abgewartet, bis der Gast mit seinen Notizen beschäftigt war, hat in dieser Pause schnell gelöffelt, bis der Blick wieder auf ihn gerichtet war. Nur ein hastiges Schlürfen ist zu verzeichnen, zu sehen ist nichts.

Er wirft Blicke in den lang gezogenen Raum der Bundestagscafeteria, schaut, ob jemand vorbeikommt, den er kennt, dem er ein kurzes Hallo zurufen sollte. Und dann blickt er wieder sein Gegenüber an, mit einem Blick, den man vielleicht lernen kann, vielleicht muss man ihn aber schon mitbringen, um überhaupt Politiker werden zu können – ein Blick, der dem Gegenüber das Gefühl geben soll, er sei im Moment für Schlauch die wichtigste Person überhaupt.

Und wie er spricht! Mal dozierend, mit tiefer Stimme, dann wieder so, als würde er einen jetzt ins Vertrauen ziehen. Er leistet sich keinen schwachen Moment im Gespräch, vielleicht einen kurzen nur. Vorhin hat man angetippt, seine früher preisgekrönte Internetseite habe ja in den letzten Monaten etwas dünn ausgesehen. Bald sei alles ganz neu und frisch, hatte es immer wieder geheißen, bis unter www.rezzo.de vor ein paar Wochen tatsächlich ein Bild von Rezzo Schlauch grüßte, „Hallo und herzlich willkommen auf meiner neuen Website!“. Ob das denn auch symbolisch für seine Karriere zu sehen sei? Früher stets präsenter Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, dann vergleichsweise verschwunden als Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium unter Wolfgang Clement (SPD), jetzt also gehäutet und wieder da? Da wendet Rezzo Schlauch zum ersten und einzigen Mal den Blick zur Wand, knetet die großen Hände, schaut etwas verkniffen und sagt: „Sie kennen ja den Wechsel.“

Mit diesem knappen Satz, das war beim ersten Gespräch, noch bevor die Bild-Zeitung letzte Woche seine USA-Reise berühmt machte, war alles gesagt über die Affäre, die Schlauch sich letztes Jahr mitten im Bundestagswahlkampf eingefangen hat, als herauskam, dass er mit Flugmeilen, die er auf Kosten des Bundestages gesammelt hatte, privat nach Thailand gereist war.

„Sie kennen ja den Wechsel“, sagt Schlauch also, und schon ist dieses Gespenst vertrieben, und ein weiteres folgt sogleich. Es ist nämlich nicht so, dass dieser Wechsel unfreiwillig gekommen wäre, wie man vielleicht fälschlich annehmen könnte, wenn man ihn nicht kennt. „Das war ein bewusster Rückzug“, sagt Schlauch, denn „ein Fraktionsvorsitzender steht immer unter Hochdruck, bekommt Druck von beiden Seiten: Fraktion und Regierung.“ Kaum einem kann man es da recht machen, ständig im Rampenlicht, Schlauch sagt, er wollte das nicht mehr. Und da sei dann die Möglichkeit auf ihn zugekommen, Staatsekretär für den Mittelstand werden zu können bei Clement.

Und jetzt ist Rezzo Schlauch begeistert. Er gestikuliert. Er schaltet seine Augen auf eine noch höhere Blickintensitätsstufe. Er berichtet, er schwärmt von seiner Arbeit als Staatssekretär für den Mittelstand. „Right time, right turn“, nennt er den Wechsel, und jetzt hängt er sogar lässig ein Bein über die linke Stuhllehne, beugt sich dabei nach vorne, um seinen Zuhörer noch mehr teilhaben zu lassen an seiner Begeisterung und Zufriedenheit. „Ein unheimlich guter Job“, sagt Rezzo Schlauch.

Er berichtet von tollen Projekten und innovativen, kleinen Firmen, mit denen er jetzt zu tun habe. Von seinen Vorschlägen zur Veränderung des Kündigungsschutzes, gewachsen auf dem Boden jahrelanger Kompetenz als Arbeitnehmeranwalt. Von einer Spezialfirma für Feinmechanik, mitten im Schwarzwald, weltweit führend. Von einem Flötenbauer, der seine Produkte in die ganze Welt verschickt. Von einem Sanitärunternehmen, das sich bundesweit mit anderen aus der Branche per Internet zu einem Netzwerk zusammengeschlossen habe und durch den Austausch von Know-how den Umsatz um zwanzig Prozent gesteigert habe! Zwanzig Prozent! In diesen Zeiten! Überhaupt, die Verbindung von Mittelstand und Internet, eine großartige, eine wichtige, eine zukunftweisende Sache.

Rezzo Schlauch ist in seinem Element, so scheint es. Er könnte jetzt einfach weiterreden vom faszinierenden Mittelstand, ohne Pause, auch davon, wie er mit dickschädeligen Vertretern des traditionellen Handwerks umgeht: „Ich bin keiner, der denen nach dem Maul redet.“ Es geht um Entbürokratisierung und Modernisierung und Innovation, man muss dazwischengehen, sonst hört er gar nicht mehr auf.

Herr Schlauch, wie kommt es, dass sich das Gerücht hartnäckig hält, Sie seien Porschefahrer? Mit dem Porsche, das ist ganz einfach: Vor einigen Jahren hat Schlauch im Stern einen Text über das Verhältnis der Grünen zum Autofahren veröffentlicht. Und zur Illustration ist er in einem Sportwagen vor dem Reichstag fotografiert worden. Einem Sportwagen mit sensationell niedrigem Verbrauch, wohlgemerkt. Seither war er eben der Porschefahrer. „Ich habe mit dem Porschegerücht gut gelebt, ist ja nichts Schlimmes“, sagt Schlauch. Tatsächlich fährt er einen Golf.

Er benutzt diesen Blick, der einem das Gefühl geben soll, im Moment der wichtigste Mensch überhaupt zu sein

In seiner Partei murren einige über ihn, aber wenn man versucht, Leute, die mit ihm zu tun hatten, für eine Einschätzung zu gewinnen, traut sich niemand.

Was ist denn mit den Linken, die ihn nicht leiden können? „Die kennen mich nicht“, sagt Rezzo Schlauch. Er komme aus der Linken, sei linker Anwalt gewesen, habe zwar nie RAF-Mitglieder verteidigt, aber Leute aus dem Umfeld. Fünfzig bis sechzig Prozent seiner Klienten seien Ausländer gewesen, ein Lehrling in seiner Kanzlei sogar Mitglied der autonomen Szene. Darum habe es ihn ja so geärgert, als er damals auf dem Grünen-Parteitag in Bielefeld einmal eingekesselt und traktiert worden sei von Autonomen. Da habe er einen „heiligen Zorn“ bekommen: „Haben die nicht alle Tassen im Schrank?“ Als ob er die nicht jahrelang und ohne aufs Geld zu schauen als Anwalt unterstützt habe. Nein, die kennen ihn nicht. Die Linken in Stuttgart, die kennen ihn, sagt Schlauch.

Stuttgart. Zweimal hat Rezzo Schlauch versucht, dort Oberbürgermeister zu werden. Zuletzt 1996, da schickte die SPD einen zweiten Kandidaten in die Stichwahl, der nahm ihm die Stimmen weg, und gewonnen hat dann Wolfgang Schuster von der CDU: „Sie können sich vorstellen, dass die SPD für mich da erst mal tot war.“ Wenn man Schlauch vom Wahlkampf erzählen hört, wie die Hallen „gestupfelt voll“ oder auch „knackenvoll“ gewesen sind, wie jede Szenekneipe Bierdeckel mit seinem Konterfei darauf im Sortiment hatte, dann fällt es schwer, ihm seine Begeisterung für das momentane Amt des Staatssekretärs für den Mittelstand zu glauben. Wenn er auch noch sagt: „Der OB-Job wäre mir auf den Leib geschrieben gewesen.“ Dann fällt es schwer zu glauben, dass er sich tatsächlich freiwillig aus dem Rampenlicht zurückgezogen hat. Wenn man ihn reden hört von der Schönheit des Südens der Republik, von seiner Heimat Hohenlohe, wo die Menschen klug seien und sogar die Stammtische ganz anders als anderswo in Deutschland, dann kann man gar nicht glauben, dass Schlauch tatsächlich seine Erfüllung gefunden hat in Berlin im Wirtschaftsministerium. Nein, wenn man ihn auf seinen damaligen Kontrahenten Wolfgang Schuster von der CDU schimpfen hört, dann könnte man meinen, er befinde sich schon wieder im Wahlkampf um den Stuttgarter OB-Sessel. Wie der – er nimmt Schusters Namen nicht in den Mund – wie der die Olympiabewerbung versemmelt habe! „Wenn man solche Weltmeister an Kommunikation nach vorne schickt, dann muss man sich nicht wundern, wenn so etwas dabei herauskommt“, erregt sich Schlauch. Er poltert. Will er noch einmal antreten, bei den nächsten Wahlen im Herbst 2004? „Das wird eine sehr schwere Entscheidung.“ Mehr will er jetzt dazu noch nicht sagen.

Überhaupt, jetzt, nach dieser leidigen Geschichte um seine USA-Reise, da formuliert er, der Jurist, ganz genau, damit ja nichts falsch verstanden wird. Er habe den gesamten Reiseplan unter genauester Auflistung sämtlicher Stationen an den Bundesrechnungshof zur Prüfung gegeben. Der sei die Autorität.

Auf seiner neu gestalteten Internetseite beschimpfen ihn wieder mal aufgebrachte Schreiber im Gästebuch, fordern seinen Rückzug. Wie geht Schlauch damit um, dass er, der so viel Wert darauf legt, gut dazustehen, jetzt wieder so schlecht aussieht? „Dass diese Reise mit der Thailand-Geschichte in Verbindung gebracht wird, das ist legitim in der politischen Auseinandersetzung“, sagt Rezzo Schlauch. Und persönlich? „Das Einzige, was mir da nahe geht, ist, dass es heißt, dass ich ein Schnorrer bin.“ „Aber“, sagt Rezzo Schlauch, „wer mich kennt, weiß: Das Gegenteil ist der Fall.“