themenläden und andere Clubs
: Vorteile im Frühherbst des Lebens: Man muss nicht mehr Erster sein. Und ist milde mit Ignoranten

Früher, mit der Ungeduld und Intoleranz der Jugend und den vielen noch ungenutzten Gehirnzellen im Kopf, habe ich mir bei Live-Konzerten meiner Lieblings-Rock-Punk-Beatbands immer gewünscht, dass eine höhere Macht die BesucherInnen bei Konzertbeginn gerecht im Raum verteilt. Ich stellte mir vor, dass man entweder durch eine Eingangsschranke zu gehen habe, die den Kopf durchleuchtet und einen dann fantumentsprechend aufstellt – die „richtigen“ Fans, die schon ewig Fans sind, alle Platten haben, die Karten bereits vor Monaten erstanden und es einfach VERDIENEN, ganz nach vorne einordnet, und diejenigen ganz nach hinten, die nur mal „so aus Scheiß“ mitkommen, oder „um zu gucken“ oder „weil der Freund das wollte“ oder weil sie einfach zu viel Geld haben. Oder, wenn mir die Idee mit der Gedankenkontrolle selbst zu hanebüchen erschien, dass man vorher einen kleinen Fan-Test zu bestehen habe, auf einem Blatt Papier – wie hieß die letzte Platte, wie hieß die erste, wie das fünfte Lied auf der zweiten Seiten und dergleichen Nerd-und-Nischen- Wissen mehr.

So stand ich dann etwa beim Konzert von „Serious Drinking“ irgendwo in der hinteren Hälfte des Publikums und schnaubte vor Wut über diese ganzen schwitzenden Ignoranten, die vor mir den Saal füllten und nicht – wie ich – seit Wochen auf das Konzert fieberten und jede Zeile jedes Liedes mitzugrölen vermochten, was eine glatte Selbstüberschätzung meinerseits war, denn mein Cockney-Englisch war in jenem zarten Alter noch beschissener als jetzt.

Dinge wie diese gehen mir nun, im Frühherbst meines Lebens, am Derriére vorbei. Ich kann gar nicht mehr verstehen, wie so viel Borniertheit überhaupt in einen so jungen Menschen reinpasste. Soll doch jedeR zu jedem Konzert hüpfen, die Band nicht kennen, sich nach vorne drängeln und einem Sicht und Luft nehmen. Stört mich nicht die Bohne. Das Bedürfnis, irgendwo Erste, ganz vorne oder sonst wie prädestiniert zu sein, erscheint mir heutzutage meist sogar eher befremdlich.

Vor Verwunderung am Kopf kratzen, bis die Nissen kullern, könnte ich mich zum Beispiel darüber, dass sich in diesen Zeiten Menschen aufmachen, um 1. die Ersten im Ikea Neukölln, 2. die Ersten bei der MoMA-Ausstellung und 3. die Ersten im neuen Manufactum-Laden zu sein. Was reitet die denn bloß! Ikea Neukölln ist doch nicht der fucking Mars, warum sollte man dort unbedingt am Premieren-Wochenende seine Flagge draufpieksen? Lag es wirklich an dem Fleischböller-Eröffnungsangebot? Oder waren an dem Wochenende eine Million TouristInnen in der Stadt, die aus Nicht-Ikea-Einzugsgebieten stammen und alle in Neukölln logierten?

Die MoMA-Ausstellung ist zeitlich begrenzt, darum liegt immerhin noch eine gewisse Logik in der Idee, sie vor September besuchen zu wollen. Ganz im Gegensatz zu dem Öko-Millionärsladen Manufactum. All die vielen guten Dinge, die es dort gibt, sind bekanntlich ohnehin für die Ewigkeit handgearbeitet! Man kann sich das blöde obersteierische Super-Kürbiskernöl, den aus altem Seemannsgarn seit hundert Jahren nach dem gleichen Strickmuster gefertigten Norwegerpullunder und den sackschweren und diamantenteuren englischen polierten Edelstahlherd also auch noch in den nächsten Jahrzehnten kaufen.

Persönlich halte ich es inzwischen mit dem Propheten, der auf den Berg wartet. Wenn der eine Berg nicht kommen will, kommt eben irgendein anderer Hügel. Aber, na ja, wenn Serious Drinking doch noch mal spielen sollten, ich wäre pünktlich da. Vielleicht sogar eine halbe Stunde vor Einlass. Oder sogar eine Dreiviertelstunde. Hab ja nicht mehr viel zu tun in diesen ruhigen Zeiten. JENNI ZYLKA