abgekratzt: bekennerschreiben in der großstadt
: Haltet ein! Kehrt um!

Nicht alle Menschen schätzen die Kraft, den Schmutz, das Licht und die Anmut der Metropole. Sie rufen so einsam wie verzweifelt: Schluss mit der Sünde!

Das Bild zeigt einen Protest: Es war im Berliner U-Bahnhof Mehringdamm auf ein Plakat geklebt, das auf eine Aufführung der Oper „Cosí fan tutte“ hinweist. Und wie: fünf gut gepflegte, zugleich mürrisch-desinteressiert wirkende Männergesichter über freiem Oberkörper. So machen’s eben nicht alle: für klassischen Bühnenstoff so erotisierend zu werben. Nur die amateurhaft vorgetragene Warnung, wenngleich wütend, es mit Sünde, Schmutz und Verderbnis nicht zu weit zu treiben, signalisiert: Ich sehe euch, die ihr Unfug treibt mit Sitte und Ordnung.

Man kennt diese Guerilleros gegen den liberalen Zeitgeist: Mal rufen sie im Theater, wie neulich am Ku’damm in einem Klaus-Chatten-Stück, grell, wie waidwund geschossenes Wild, nun müsse mit Libertinage, mit Mord (Abtreibung), mit Entblößung (Frauen in Miniröcken) aufgeräumt werden.

Stets gehört zu diesem Spiel, dass das Publikum – wir, die Eingeweihten! – die bösen Zeichen früherer Tage zu erkennen glaubt. Weit gefehlt: Die da diesen Protest anmelden, sind Verlierer, die die Buntheit der Welt nicht ertragen möchten, weil sie ihre eigene Farbe in ihr nicht erkennen und deshalb alle anderen wegwischen wollen. Die Tapeten der Stadt kriegen sie niemals mehr abgekratzt. Sie wissen das und können doch nicht drum weinen. JAF