: Habemus Papam
Die Kandidatenkür für das Amt des Bundespräsidenten offenbart dessen vollkommene Bedeutungslosigkeit und legt damit Überlegungen zu seiner Abschaffung nahe
Stünde nicht allein die Würde des Menschen unter dem Schutz des Artikels 1 des Grundgesetzes, sondern auch die Würde eines Amtes – das Bundesverfassungsgericht wäre in den nächsten Jahren vollauf beschäftigt. Schlimmer als bei der Auslese des deutschen Bundespräsidenten geht es wahrscheinlich nur noch bei der Benennung des IOC-Vorsitzenden und bei der Papstwahl zu. Bei Ersterem kann man immerhin davon ausgehen, dass der Einsatz aller Mittel Teil des sportiven Selbstverständnisses ist, und bei Letzterem enthebt die Gottgeweihtheit des Amtes die Niederungen konklaver Beckmessereien irdischen Beurteilungen. Der nächste deutsche Bundespräsident hingegen soll, obgleich ähnlich konklavem Händel entsprungen, dem Willen des Volkes entsprechen. Wie soll das Volk aber einen Willen haben, wo es sich aus schierer Unkenntnis der Person noch nicht einmal eine Meinung bilden konnte?
Man kann in der Besetzung des höchsten Staatsamtes durch einen Direktor des IWF eine besondere Pointe der Geschichte entdecken. Wird er doch in der Regel gerufen, wenn erheblicher Sanierungsbedarf in einem Land besteht. Und wo träte dieser Bedarf derzeit deutlicher zutage als im Amt, für das er vorgeschlagen ist? Es hat in den letzten Monaten reputierliche Personalvorschläge gegeben. Dass statt ihrer unter Ausschluss auch der Parteiöffentlichkeiten und unter Einbeziehung sachfremder Erwägungen eine dritte Wahl zum Zuge kommt, verweist auf ein Versagen der Verhandlungsdemokratie. Wenn nun der Ruf nach einer Direktwahl des Bundespräsidenten durch das Volk wieder umso lauter erschallt, so ist das nichts anderes als das Eingeständnis der Parteien, als Organe der Willensbildung des Volkes versagt zu haben.
Eine Direktwahl würde das Verfahren zwar demokratischer, das Amt aber problematischer machen. Denn sie würde es mit einer höheren Legitimation ausstatten, der keine erhöhte Kompetenz entspricht. Sie stünde gar im Gegensatz zu der schwachen Stellung, die der Bundespräsident im Verfassungsgefüge einnimmt. Er darf Reden halten, aber er hat nichts zu sagen.
Aufgrund der Weimarer Erfahrungen hat das Grundgesetz den Bundespräsidenten nur mit wenigen Aufgaben bedacht, von denen er kaum eine autonom erfüllt. Und es gibt darunter keine, die nicht von anderen Verfassungsorganen übernommen oder rechtlich geregelt werden könnte. Aus dem Organgefüge der Verfassung ließe sich der Bundespräsident also leicht streichen.
Aufmerksamkeit erregt das Amt denn auch weniger durch die Art, wie der Inhaber das Kerngeschäft wahrnimmt, als vielmehr durch Bedeutungen, welche sich nicht so ohne weiteres aus den Buchstaben der Verfassung ablesen lassen. Die Wahl setzt regelmäßig einen monarchischen Impuls frei. Ohne öffentliche Aussprache zelebriert, gleicht sie eher einer Krönungsmesse denn einem demokratischen Akt.
Der Bundespräsident ist das einzige Verfassungsorgan, das sich in einer Person manifestiert. Wie die zwei Körper des Königs, so verkörpert der Bundespräsident immer auch das imaginierte Ganze der Staatsgesellschaft. Deshalb ist seine Ernennung immer auch Spiegelung gesellschaftlicher Erwartungen an sich selbst. Verband sich anfänglich mit ihm die Vorstellung einer paternalistisch strukturierten gesellschaftlichen Ordnung, so richtete sich später die Forderung nach einer Frau im Amt eben nicht so sehr auf eine veränderte Amtsführung, sondern speist sich aus dem Wunsch nach angemessener gesellschaftlicher Achtung.
Doch das Ganze der Staatsgesellschaft zerfällt. Der Entgrenzung nach außen entspricht eine Entstaatlichung nach innen, Entscheidungs- und Handlungskompetenzen verlagern sich auf supranationale Organisationen, und das enge sozialstaatliche Netz, das die Loyalität der Bürger sicherte, ist zerrissen. Unter diesem Niedergang hat die Bundesregierung, aber vor allem auch das Parlament zu leiden, dessen Gestaltungsbefugnisse schwinden. Am stärksten ist jedoch das Amt in Mitleidenschaft gezogen, das seinen Daseinszweck in der Repräsentanz dieser Staatlichkeit hat. Es hat unabhängig von der Qualität der Amtsinhaber in den letzten Jahrzehnten an Relevanz verloren. Man vergleiche nur die huldvolle Aufmerksamkeit, welche seinerzeit die „Tagesschau“ den Afrika-Besuchen des Bundespräsidenten Heinrich Lübke entgegenbrachte, mit dem Stellenwert, den sie den sicher gehaltvolleren Gesprächen von Johannes Rau an gleicher Stelle beimisst.
Sowohl verfassungsrechtlich als auch politisch wurzelt das Amt des Bundespräsidenten tief in der alten Bundesrepublik. Das macht seine Sinnkrise aus, seit die Nachkriegsgeschichte nunmehr selbst Geschichte ist. Als Vertreter der Weimarer Gründergeneration entsprach Theodor Heuss dem Autoritätsbedürfnis eines seiner positiven Bezüge entkleideten Volkes. In der Anerkennung, die bei Auslandsreisen ihm und seinen Nachfolgern entgegengebracht wurde, konnte dieses Volk das Maß spiegeln, in dem die in seinem Namen begangenen Verbrechen an Bedeutung verloren und seine wirtschaftlichen Aufbauleistungen an Bedeutung zunahmen. Die Aufforderung des Sozialdemokraten Gustav Heinemann an die rebellierenden Studenten, den langen Marsch durch die demokratischen Institutionen anzutreten, war der Versuch, eine ob dieser Vergangenheit zerrissene Gesellschaft zu klammern. Durch die Rede des Christdemokraten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985 hat diese Vergangenheit eine für alle Teile der Gesellschaft verbindliche Interpretation erfahren. Mit der deutschen Einheit endete die Zeit des Nachkrieges, die ihre Sinn- und Ordnungsbezüge aus der Vergangenheit herleitete. Schon in dem gebrochenen Prozess gesamtstaatlicher Integration wurde deutlich, dass der Bundespräsident kein Organ war, in dem sich beide Teile gleichermaßen repräsentiert sahen.
Bereits in der Philippika Richard von Weizsäckers gegen die Machtversessenheit der Politik, deutlicher noch in Roman Herzogs Ruck-Rede, manifestiert sich ein Perspektivenwechsel präsidialen Selbstverständnisses. Der oberste Repräsentant des Staates macht sich zum Sprachrohr des gesellschaftlichen Unmutes über die Führung ebendieses Staates. Er wird zum gesellschaftlichen Akteur und setzt sich damit widerstreitenden Erwartungen aus. Denn in einer medial organisierten Öffentlichkeit gewinnt er Aufmerksamkeit nur, indem er sich mit einer Position exponiert. Damit läuft er aber Gefahr, die parteineutrale Zurückhaltung seines Amtes, die Grundlage seiner Autorität ist, zu untergraben. Zuletzt hat dies Johannes Rau im Kopftuchstreit getan und prompt die entsprechende Resonanz erfahren.
Aus diesem Dilemma hilft weder eine direktdemokratische Aufwertung des Amtes noch eine Ausweitung seiner Befugnisse. Im reformerischen Geist der Zeit läge da schon eher die Überlegung nahe, das Amt abzuschaffen. DIETER RULFF
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