Köhler übt in Brasilien

Noch-IWF-Chef lobt neoliberale Politik der Regierung Lula und stellt mehr Flexibilität beim Sparen in Aussicht

PORTO ALEGRE taz ■ Die Erfüllung von Hoffnung braucht Geduld. Das war die Botschaft von Horst Köhler, als er Anfang der Woche in den Sertão flog, um Milchbeutel aus dem Null-Hunger-Programm zu verteilen. Den Frauen einer Gemeinschaftsküche versprach der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), bei Weltbank-Chef James Wolfensohn ein gutes Wort einzulegen. Einen Bauern, der über hohe Zinsen und den Zustand der örtlichen Schule klagte, tröstete er: „Lösungen kommen nicht über Nacht. Sie sind ein stolzer Mann, bleiben Sie so.“

In Geduld muss sich auch die Regierung Lula üben. Im vergangenen Jahr gebärdete sie sich als Musterschülerin des IWF, indem sie den Sparkurs noch verschärfte und 4,32 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP), der Summe aller im Lande produzierten Waren und Dienstleistungen, für den Schuldendienst beiseite schaffte. Zudem bietet Brasilien Anlegern mit 9,95 Prozent die weltweit höchsten Realzinsen.

2003 schrumpfte das BIP erstmals seit 1992. Als das Minus von 0,2 Prozent jetzt bekannt gegeben wurde, geriet die Regierung noch mehr unter Druck. Da traf es sich gut, dass Köhler Lulas Wirtschaftspolitik überschwänglich lobte: „Die Zeiten sind vorbei, in denen man Ländern wie Brasilien sagen musste, was korrekt ist.“ Klar ist aber auch dem IWF: Der Sparkurs, mit dem das Vertrauen der Finanzmärkte gewonnen werden soll, behindert den beschworenen Aufschwung. Die Regierung könnte mit Investitionen in die Infrastruktur nachhelfen – doch dafür fehlt das Geld.

Da Abstriche am Sparziel von derzeit 4,25 Prozent des BIP als kontraproduktiv gelten, soll eine Änderung bei der Berechnung dieses so genannten Primärüberschusses neue Spielräume schaffen. Einen Präzedenzfall hatten Brasilien und der IWF bereits im letzten November ausgehandelt, als 1 Milliarde Dollar des Gesparten für den Ausbau von Abwassersystemen freigegeben wurden. Nach diesem Modell, hoffen nun die Brasilianer, könnten noch in diesem Jahr staatliche Investitionen in Verkehrswege oder den sozialen Wohnungsbau ebenfalls von den IWF-Sparvorgaben ausgenommen werden. GERHARD DILGER