Langes Warten auf die Nebelwerfer

Umweltminister Jürgen Trittin fordert die Länder erneut auf, Atomkraftwerke vor gezielten Angriffen zu schützen. Die hoffen aber lieber, dass die Betreiber schon bald Nebelmaschinen installieren und die Terrorpiloten ohnehin nicht fliegen können

AUS HANNOVER JÜRGEN VOGES

Im Streit um den Schutz von Atomkraftwerken vor gezielten Terrorangriffen mit Flugzeugen wird der Ton härter. Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) hat jetzt die fünf Bundesländer, in denen Reaktoren stehen, nachdrücklich an ihre Aufsichtspflichten für die Kraftwerke erinnert. In einem Brief an die schleswig-holsteinische Sozialministerin Heide Moser und die Umweltminister von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen, kritisiert Trittin: Die Ländern haben aus der seit einem Jahr vorliegenden Studie der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) zu gezielten Flugzeugabstürzen keine Konsequenzen gezogen.

Mit dem Gutachten habe der Bund „Aufgaben der zuständigen Landesbehörden – auf deren Wunsch – übernommen“ und sei in Vorleistung getreten. Nun sei es „Ihre und Ihrer Kollegen Aufgabe, auf der Basis der GRS-Studie anlagenspezifische Untersuchungen vorzunehmen“. Das sei ureigenste Aufgabe der Landesatombehörden, die sonst immer auf ihren Kompetenzen bestünden. Trittin hat dem Brief zufolge die Länder schon vor mehr als einem Jahr gebeten, die GRS-Studie umzusetzen.

Niedersachsen forderte Trittin unterdessen implizit auf, die Länder doch per bundesaufsichtlicher Weisung zu weiteren Untersuchungen zu zwingen. Der Bund sei sich offenbar seiner Position nicht sicher, sagte Ministeriumssprecher Volkert Wiesner in Hannover. Er habe die Möglichkeit die Länder anzuweisen, tue das aber nicht. Niedersachsen drängt auf eine schnelle Ausstattung der Reaktoren mit Vernebelungsanlagen, denen der Bund jedoch eine effektive Schutzwirkung abspricht. Man gehe davon aus, dass die Betreiber demnächst Anträge für Vernebelungsanlagen stellen würden, sagte der Sprecher von Landesumweltminister Hans-Heinrich Sander (FDP). „Wir sollten das nicht weiter verzögern.“

Eine zweite GRS-Studie, mit der die Wirksamkeit der Vernebelungstaktik bewertet wurde, belegt aber offenbar nur eine geringe Schutzwirkung. Von dem zweiten Gutachten gibt es noch keine schriftliche Fassung, seine Ergebnisse wurden aber am Montag bereits Bund, Ländern und Betreibern vorgestellt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein gezielter Angriff mit einem Passagierflugzeug zu einer großen Katastrophe mit Freisetzung des radioaktiven AKW-Inhalts führt, sinkt nach dem Gutachten zwar bei einem vernebelten Kraftwerk auf 10 Prozent ab. Das gilt allerdings nur, wenn der Terrorpilot keine Kurven fliegen kann. Der künstliche Nebel löst sich offenbar nach drei Minuten auf – und verliert seine Schutzwirkung, wenn das Flugzeug vor dem Absturz noch eine Schleife dreht.

Dass der Bund sich auf das Schutzkonzept: „Pilot kann nicht fliegen“ nicht einlassen will, kritisieren die Länder nun als unzulässige Änderung der Ausgangsbedingungen zur Reaktorbegutachtung. Man habe die Ereignisse des 11. Septembers zugrunde zu legen: Ein Terrorpilot, lerne das Fliegen in einem Crashkurs. Hier dürfe man nicht abweichen und von einem erfahreneren Piloten ausgehen.