Merkels Gegner geben sich geschlagen

Roland Koch und Edmund Stoiber müssen notgedrungen anerkennen, dass Angela Merkel in der Präsidentenfrage ihr Ziel erreicht hat: Mit Horst Köhler wird ein CDU-Mann gemeinsamer Kandidat der Opposition für das höchste Staatsamt

Nach drei Stunden lässt sich Schäuble nach Hause fahren. Er hat genug gehört

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Das letzte Gerücht, das in dieser Nacht verbreitet wird, ist das schönste. Angela Merkel, die gerade in ihrer dunklen Limousine in die Nacht davonbraust, habe hinter den getönten Scheiben ihres Wagens das Victory-Zeichen gemacht, sagt ein Kameramann, der ihr hinterhergerannt war.

Schnell stellt sich heraus: Es ist ein Scherz. In Wirklichkeit hat Merkel die aufgeregte Pressemeute gar nicht beachtet, die am Donnerstagmorgen um kurz nach zwei immer noch vor dem Konrad-Adenauer-Haus auf das Ende der CDU-Präsidiumssitzung wartet. Merkel hielt nur ihr Handy in der Hand. Was sie denkt, zeigt sie nicht, das teilt sie nur Vertrauten mit. So hat sie es im gesamten Poker um den nächsten Bundespräsidenten gehalten – und gewonnen.

Monatelang hatte Merkel offen gelassen, wen sie für das höchste Staatsamt unterstützt. Nun bekommt sie, was sie wollte. Mit Horst Köhler wird erstens ein Mann Bundespräsident, zweitens ein CDU-Mann und drittens ein Mann, den CSU und FDP mittragen. Erleichtert kann Merkel am Donnerstagmittag vor der Bundespressekonferenz behaupten, die Nominierung Köhlers sei „ein klares Signal für eine bürgerliche Alternative gegen Rot-Grün“. Diesem Ziel, der Geschlossenheit der Opposition, haben sich am Ende alle untergeordnet – auch die, die eigentlich für Wolfgang Schäuble waren.

Demonstrative Siegesgesten aber, das weiß Merkel, wären fehl am Platze. Schließlich ist erst nach drei Tagen peinlichen, öffentlichen Streits und sechs Stunden heftiger, interner Diskussion im CDU-Präsidium ein Machtkampf zu Ende gegangen, bei dem einer der renommiertesten und klügsten Köpfe der CDU verloren hat. Für Schäubles erneute, letzte Niederlage in einer Karriere voller Niederlagen machen viele in der Union Merkel verantwortlich, weil sie sich erst spät und dann nur halbherzig für ihren Vorgänger als CDU-Parteichef eingesetzt habe.

Umso mehr dürfte Merkel jetzt genießen, wie ihre Widersacher anerkennen müssen, dass der Zweck die Mittel heiligt. „Das Ergebnis unserer Beratungen und Überlegungen ist ein exzellentes“, sagt CSU-Chef Edmund Stoiber, „und darauf kommt es an.“ Es ist ein Freispruch erster Klasse für Merkel, der vorgeworfen wird, zu lang taktiert zu haben. Von einem Zerwürfnis der Unionschefs will Stoiber nichts wissen. „Erstens brülle ich nie, zweitens mit Sicherheit nicht im kleinen Kreis.“

Dass auch Stoiber selbst letztlich Schäubles Demontage mitbetrieb, indem er allzu laut für seinen Favoriten zu Felde zog, was die FDP in ihrer Ablehnung nur noch sturer machen konnte – auch das macht es Merkel etwas leichter, die Kritiker ihres Verhaltens ruhig zu stellen.

Am Mittwochabend dauert es fast vier Stunden, bis Merkel den Widerstand des harten Kerns des Schäuble-Fanclubs im Präsidium gebrochen hat. Vier, fünf Kollegen hatten lautstark dagegen protestiert, dass die CDU auf ihren „besten Mann“ verzichtet, dass das die größte Oppositionspartei den Widerstand der kleinsten, der FDP, gegen den Bewerber Schäuble einfach hinnimmt: Roland Koch, Peter Müller, Georg Milbradt, Jörg Schönbohm und Schäuble selbst. Doch die Mehrheit akzeptiert Merkels Argumentation, das Wichtigste sei ein gemeinsamer Kandidat des bürgerlichen Lagers. Und da die FDP „bedauerlicherweise“ Nein zu Schäuble gesagt habe, müsse man nun einen neuen Kandidaten suchen. Ob es Annette Schavan oder Köhler wird, ist am Ende nicht mehr ganz so wichtig. Die Entscheidung wird den Parteichefs überlassen.

Um elf Uhr lässt sich der gescheiterte Kandidat nach Hause fahren. Er hat offenbar genug gehört. Den Rest, die Entscheidung über den Ersatzmann, will sich Schäuble nicht mehr antun. Wenig später ergreift auch Roland Koch die Flucht. Der hessische Ministerpräsident war der Wortführer der Protestierer. Er hat schon beim Hineingehen in den Sitzungssaal in aller Öffentlichkeit geschimpft. Es gehe nicht an, dass man sich den Kandidaten von der FDP „diktieren“ lasse, diktiert Koch den Reportern in die Blöcke. Und überhaupt, er sei „absolut unzufrieden“. Das ganze Verfahren, die ganze Kandidatensuche sei „chaotisch“ und empöre die Anhänger der CDU.

Damit das auch wirklich jeder mitkriegt und keiner vergisst, schickt Koch zu Beginn der Sitzung seinen Pressesprecher in den Warteraum der Journalisten. Der macht dort weiter, wo Koch aufgehört hat, und berichtet von „der Stimmung an der Basis“. Die sei „grottenschlecht, nachvollziehbar grottenschlecht“. Niemand verstehe, warum sich Merkel nicht viel früher auf einen Bewerber, nämlich Schäuble, festgelegt und ihn dann durchgesetzt habe, sagt Kochs Sprecher. Geschickt nutzt er dann die SMS-Verbindung zum Chef im Saal, um Meldungen ins Pressevolk zu streuen. „Anhaltender Streit“ sei da im Gange, meldet Koch per Kurzmitteilung. Das stimmt. „Köhler ist raus“, behauptet er später. Das ist falsch, wie sich später herausstellen wird. Trotzdem melden es die Fernsehsender und Agenturen sofort weiter. So hat Koch wenigstens noch ein bisschen mehr zum „Chaos“ beigetragen, das er selbst am lautesten beklagt. Als er wenig später – wegen eines „unaufschiebbaren“ Termins – frühzeitig den Saal verlässt, gibt er zu, die Art des Verfahrens lasse ihn „unbefriedigt von Berlin wegfahren“. Merkel wird es recht sein.

Am Donnerstag früh haben beide Oppositionsparteien den Kandidaten Köhler abgesegnet. Auch Koch lässt wissen, er werde den hessischen Wahlmännern empfehlen, für den IWF-Chef als Präsidenten zu stimmen.