Kleine Wiederauferstehung

Hoch lebe die Solidarität und ihr Regisseur: Dem Regisseur Frank Castorf wird heute in Berlin der „Preis zum Welttheatertag“ vom Internationalen Theaterinstitut verliehen

Es ist der siebte oder achte Preis für den Regisseur Frank Castorf. So genau lässt sich das schon gar nicht mehr zählen. Heute Abend bekommt er den „Preis zum Welttheatertag“ vom Internationalen Theaterinstitut (ITI) überreicht. Eigentlich erhielt er ihn schon am 27. März, am „Welttheatertag“, denn da wird der gleichnamige Preis jährlich vom ITI verliehen. Aber jetzt geschieht es im Zeitfenster des Theatertreffens, das höhere Aufmerksamkeit für alles, was Theater ist, garantiert, gleich noch einmal. Und in der Volksbühne dazu.

Denn früher oder später wird alles zur „Volksbühne“ im Kosmos von Castorf, der dort auch Intendant ist. In Zürich inszenierte er „Trauer muss Elektra tragen“ von Eugene O’Neill, in Wien „Der Meister und Margarita“ nach Bulgakow und jetzt sind beide Stücke zum Theatertreffen eingeladen. Zusammen ergeben sie so etwas wie ein Welttheater der alten Blöcke: einmal USA, einmal Sowjetunion. Denn „Trauer muss Elektra tragen“ ist bei Castorf auch zu einer Geschichte der Abrechnung mit dem amerikanischen Kapitalismus geworden, einem Graben nach dem verdrängten Preis, der für diese Zivilisation gezahlt wurde. „Der Meister und Margarita“ dagegen spielt mit den Fantasien des Totalitären und der Sehnsucht nach Erlösung. Ob es nun der Teufel ist oder Jesus, die Kunst selbst gar oder Stalin, die als Propagandisten des teleologischen Systems auftreten: Bei Castorf kehrt sich alles um in absurde und anarchistische Bilder der Befreiung. Als Abschied von allen Utopien lässt sich das beinahe lesen.

Eine Utopie aber gibt es, die erlebt hier in jeder Aufführung ihre Wiederaufstehung. Das ist die von der Solidarität des Ensembles. Sie spielen jedes Stück, als ob sie es aus der Improvisation, aus dem Leben auf der Bühne miteinander, eben erst wieder erfunden hätten. Ihre Figuren, das wissen sie, kämpfen noch um ihre Autonomie und den Status des Individuums. Der ist heute zu einer Werbeidee auf dem Markt verkommen, okkupiert von Bildern, die den literarischen Figuren das Fortleben schwer machen. Das nicht zu leugnen und dennoch mit einer Art fröhlicher Trauer die alten Entwürfe abzutasten und auf alle Spuren, die sie in den Körpern und Köpfen hinterlassen haben, zu reagieren, macht das Besondere dieses Spiels aus. So besonders, dass man selbst den siebten oder achten Preis nicht für übertrieben hält.

KATRIN BETTINA MÜLLER