„MITTE ODER LINKS?“ – FÜR EUROPAS SOZIALISTEN KEINE ALTERNATIVE
: Integrieren, nicht spalten

Sozialdemokratischer Parteichef zu sein – das ist derzeit kein Vergnügen. Nicht nur Kanzler Schröder weiß das, auch seine Parteikollegen in Frankreich, Großbritannien und Italien schlagen sich schon seit Jahren mit der Frage herum, ob Sozialdemokratien heute auf die „traditionalistische“ Verteidigung der Stammwählerschaft oder auf die „modernisierende“ Eroberung neuer Schichten setzen müssen.

Den radikalsten Weg ging Tony Blair noch in den Jahren der Opposition. Er machte den linken Flügel zur Randgröße in der Partei, ohne ihn ganz zu verlieren – und gewann die Wahlen. In Frankreich hingegen setzten die Sozialisten auf Integration, der beide Seiten in einem schwierigen Spagat zusammenzuhalten versucht – auf diesem Weg freut sich der neue Parteichef Hollande jetzt über die ersten Erfolge. Ebenjenen Spagat, den Schröder selbst jahrelang praktizierte, hat er nun in der parteiinternen Auseinandersetzung aufgekündigt: Die Wahlen gewann er mit traditionalistischen Versprechen; nun ist die „Modernisierung“ am Zug.Gewiss, die französischen Sozialisten haben es leichter: Sie sitzen in der Opposition. Welche Auseinandersetzungen aber an diesem eigentlich bequemen Ort möglich sind, zeigt das italienische Beispiel. Dort bekämpfen sich Reformer und Traditionalisten bei den Linksdemokraten heute bis aufs Messer, dort haben sie einander den Krieg erklärt über der Frage, ob die letzten Wahlen gegen Berlusconi nun „links“ oder „in der Mitte“ verloren gegangen sind. Der linken Minderheit gilt die Parteiführung als Verräterin an den alten Idealen, und die kontert mit dem Vorwurf, die Linken zielten auf nicht weniger als auf die Spaltung der Partei.

Gut möglich, dass die Linksdemokraten bald auseinander brechen. Das wäre eine Spaltung, die den ganzen Widersinn der Debatte um das „oder“ zeigt, denn die kleineren Nachfolgeparteien müssten sofort miteinander ein Wahlbündnis eingehen. Am Spagat führt eben kein Weg vorbei: Mehrheitsfähig gegen die Rechte sind sozialdemokratische Parteien heute nur, wenn sie bei den Wahlen links ihre traditionellen Reservoirs ausschöpfen und sich zugleich in der Mitte neue Anhänger erschließen. MICHAEL BRAUN