„Nicht nur Hiob, auch Verheißung“

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke (CDU) will den Untergang seiner Stadt mit Gentechnik und Kernkraft verhindern: In zehn Jahren soll Gelsenkirchen zur Avantgarde-Stadt werden und endlich wieder oben stehen

taz: Nächste Woche soll eine bundesweite Gelsenkirchen-Konferenz geplant werden. Kommen Sie ohne Bundes- und SPD-Hilfe nicht mehr weiter?

Oliver Wittke: Gelsenkirchen ist in einer außerordentlich schwierigen Situation, so geht es keiner zweiten Stadt. Deshalb müssen wir jetzt bundesweit und parteiübergreifend zusammenarbeiten. Das soll eine konzertierte Aktion werden wie die Ruhrgebietskonferenzen in den 80er Jahren.

Was soll dabei heraus kommen?

Das kann ich erst nächste Woche sagen, wir haben Stillschweigen vereinbart.

Sie könnten zum Beispiel verlangen, Gelsenkirchen wie eine verarmte Ost-Stadt zu fördern.Zum Beispiel, jaja. Das ist eine alte Forderung, die immer noch wahr ist. Wir müssen die Firmen unterstützen, ihnen Attraktionen bieten.

Wie ist es, in den Monaten vor der Kommunalwahl nur Hiobsbotschaften zu verbreiten?

Ich würde auch lieber von Einweihung zu Einweihung eilen. Aber wir können handeln und geben nicht auf. Es gibt nicht nur Hiob, sondern auch Verheißung. Im letzten Jahr ist die Mini-Jobzentrale nach Gelsenkirchen gekommen, das brachte 80 Arbeitsplätze, der Landesbetrieb Straße NRW wird noch einmal 400 Stellen schaffen, das Dellphone-Call-Center 200...

Der Stellen-Saldo ist trotzdem negativ.

Das leugne ich nicht. Natürlich können wir Leute, die Stahl gegossen haben, nicht gut vermitteln. Langfristig gehen die Lichter in unserer Stadt aber wieder an.

Vaillant, TRW, Pilkington, Rexam – diese Unternehmen werden auch auf Clements Wunsch nicht wiederkommen.

Nein, jetzt muss etwas Neues entstehen, ein großer Stein muss nach Gelsenkirchen rollen. Wir müssen an Zukunftstechnologien denken, an Gen- und Biotechnologie. Und auch wenn Sie es vielleicht nicht gerne hören: Wir hätten unsere weltweite Vormachtsstellung in der Atomenergie nicht aufgeben dürfen. Das können nur wir. Stahlrohre kann man auch in Indien produzieren.

Die Gelsenkirchener Firmen sind alle in Billiglohnländer abgewandert. Reihen sie sich jetzt bei den Globalisierungskritikern von attac ein?

Nein, diese Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten. Wir dürfen nur nicht versuchen, in Gelsenkirchen billiger zu produzieren als in Asien, das funktioniert nicht. Wir müssen innovativ sein, sonst haben wir verloren.War Gelsenkirchen in der Vergangenheit nicht innovativ?

Gelsenkirchen ist nur der Anfang. Andere Städte wähnen sich noch in Sicherheit, aber es dauert nicht mehr lange, bis zum Beispiel die gesamte Automobilzuliefererindustrie auswandern wird. Und dann ist Gelsenkirchen die Avantgarde, die als Erste gelernt hat, mit der Entwicklung umzugehen.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES