Annäherung 100 Jahre nach dem Genozid

Eine Ausstellung im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum bringt neues Licht in das Verhältnis zwischen Deutschland und seiner früheren Kolonie „Deutsch-Südwest“. Im Mittelpunkt steht der deutsche Vernichtungskrieg gegen die Nama und Herero

Von Jürgen Schön

Es war Anfang der 90er Jahre, als eine Gruppe Menschenrechtler eigenmächtig und eigenhändig Straßen im Nippeser „Afrika-Viertel“ umtaufte: Die Carl-Peters-Straße benannten sie in Usambarastraße um, die nach Adolf Lüderitz hieß kurzfristig Namibiastraße – bis die Polizei kam. Bei den Anwohnern stieß die Aktion auf wenig Verständnis. Dass der eine als deutscher Kolonialherr im heutigen Tansania gewütet hatte, der andere die Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ begründete, wussten die wenigsten. Dafür war sich die Mehrheit der Bevölkerung sicher, dass die Deutschen als Kolonialherren sich die Hände nicht schmutzig gemacht hatten. Erst 1997 wurden die Straßen nach langer Diskussion offiziell umbenannt.

Das Schild „Namibiastraße“ steht jetzt am Eingang zur Ausstellung „Namibia – Deutschland: Eine geteilte Geschichte“ im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum. Es ist Symbol für eine Geschichtsauffassung, die sich langsam geändert hat und die die deutschen Verbrechen in Afrika wahrnimmt. 100 Jahre nach dem Vernichtungskrieg, mit dem die deutschen Kolonialherren auf einen Aufstand der Herero und der Nama reagierten, will diese Ausstellung – erst- und einmalig in diesem Umfang – dieses dunkle Kapitel beleuchten.

Es ist eine ambitionierte und gelungene Ausstellung, die vom Museum und einem Forschungsprojekt an der Kölner Universität in Zusammenarbeit mit namibischen Institutionen entwickelt wurde. Das spiegelt auch der Titel wieder: So wollte die deutsche Seite das Wort „Genozid“ verwenden, dadurch aber hätten sich die Afrikaner nur als Opfer gesehen, nicht als selbstbewusst handelnde Nation. Mit einem „Trick“ werden beide Seiten gleichberechtigt darstellt: der namibische Blick mit den entsprechenden Exponaten im rechten Teil der Ausstellung, der deutsche im linken. Auch die Zweideutigkeit des Ausstellungstitels ist gewollt: „Geteilte Geschichte“ bedeutet die getrennten Wege, aber auch die gemeinsame Vergangenheit.

Und die war nicht nur von Krieg geprägt: Zum Beispiel brachten erst die Missionare des Rheinischen Missionswerks den Bewohnern von „Deutsch-Südwest“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Schriftsprache. So werden die vielfältigen Verflechtungen deutlich zwischen Namibiern, deutschen Siedlern und deren „Mutterland“, zuerst das Deutsche Reich, später die Bundesrepublik und die mit ihr konkurrierende DDR. Beleuchtet wird das Zusammenleben von Schwarz und Weiß in Wirtschaft, Kultur und Ausbildung – bis hin zum Thema „Deutsche Väter – afrikanische Mütter“ (umgekehrte Beispiele sind nicht bekannt). Derlei Freizügigkeit in Liebesdingen, die sogar amtlich bestätigt wurden, war zu Beginn der Kolonialisierung durchaus üblich. Erst mit Aufkommen des Rassismus wurde sie verpönt und 1905 offiziell verboten.

Im Mittelpunkt aber steht der Krieg der Deutschen gegen die Herero, für viele Historiker die Grundlage für den späteren Genozid an den Juden. Historiker schätzen, dass 35 bis 80 Prozent der damaligen Hererobevölkerung umgebracht wurden, die meisten durch systematisches Verhungernlassen in Konzentrationslagern oder durch Vertreibung in die Wüste. Auf namibischer Seite geben vor allem die Niederschriften mündlicher Überlieferungen Zeugnis aus dieser Zeit. Die Exponate auf „deutscher“ Seite sind etwas reichlicher: Fußfesseln, das Protokoll einer Prügelstrafe, Fotos von Gefangenen. Über allem ein Satz des Generalleutnants Lothar von Trotha: „Ich vernichte die aufständischen Stämme mit Strömen von Blut.“

Aktuelle Probleme namibischer Innenpolitik werden allerdings nur am Rande gestreift. Etwa dass die Gedenkfeiern der Herero von der Regierung in Windhoek lieber übersehen werden, weil sie eine Störung des „Gleichgewichts“ zwischen den vielen Völkern Namibias befürchtete. Oder die Probleme der Landreform, für die Zimbabwe als schlechtes Beispiel dient.

Für zwischenstaatliche Komplikationen könnte das ausgestellte Grabmal eines prominenten Herero sorgen: Zahlreiche Büffelschädel, die auf einen Baumstamm genagelt sind. Es gelangte im 19. Jahrhundert auf noch ungeklärten Wegen in die Sammlung der Rheinischen Mission nach Wuppertal, wo es erst vor wenigen Jahren wiederentdeckt wurde. „Ein nationales Kulturgut“, befand Zedekia Ngavirue bei der Besichtigung der Ausstellung. Der ehemalige namibische Botschafter bei der EU würde das Objekt gerne zurück in seine Heimat holen: „Denn bei uns gibt es das nicht mehr.“

„Namibia – Deutschland: Eine geteilte Geschichte“: Rautenstrauch-Joest-Museum Köln, Ubierring 45, bis 3.10., Di-Fr 10-16 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr.