St. Paulis Idyll liegt in Schnelsen

Ein Regionalligist plant die Zukunft: Im „magischen Dreieck“ werden Jugendliche nicht nur zu Sportlern, sondern auch zu Menschen ausgebildet. Die Kooperation zwischen Sportverein und Schule bringt beiden Seiten Vorteile

von Oke Göttlich

Die Zukunft des FC St. Pauli liegt in Fußmarschentfernung. Ein Spaziergang voller Erwartungen und Hoffnungen für den Stadtteilverein, der noch mit der Verarbeitung zweier Abstiege hintereinander beschäftigt ist. Aber das sind Lasten, die Lukasz Sosnowski, Erkan Bagci, Marc Albrecht und Frederic Böse nicht schultern müssen. Schlendern die Nachwuchshoffnungen durch die Stationen ihres Alltags, glaubt man sich in die glorreichere Vergangenheit des Clubs zurückversetzt.

Jugendliche auf dem Schulhof singen „St. Pauli, St. Pauli“, als sich die vier Talente mit Präsident Corny Littmann auf Besichtigungstour des „magischen Dreiecks“ begeben. Ein Dreieck, das aus Ausbildungsstätten besteht, in denen nicht nur Sportler, sondern Menschen ausgebildet werden – Nachwuchsleistungszentrum, Julius-Leber-Gesamtschule, Jugendtalenthaus. „Es reicht nicht, nur gut Fußball zu spielen“, glaubt A-Jugend-Trainer Dirk Zander. „Es geht um die sportliche, schulische und charakterliche Ausbildung der Talente“, ergänzt St. Pauli-Nachwuchskoordinator Andreas Bergmann.

Um diesem Anspruch gerecht zu werden, musste der klamme Drittligist wieder Ideen entwickeln, die ebenso bezahlbar wie sinnvoll sind. Eine Rundumbetreuung kann der Regionalligist nicht leisten, dafür hat man eine Kooperationsschule gefunden, die erkannt hat, „dass Jugendliche mit dem Wunsch Profi zu werden, ihre Aufgaben ebenso konzentriert verfolgen müssen, wie angehende Mathematiker“, sagt Klaus Tobel, Leiter der Julius-Leber-Gesamtschule.

Auf dieser Basis kann der FC St. Pauli seinen Talenten neben der sportlichen Entwicklung auch eine schulische Ausbildung auf allen Niveaus bieten. Vormittags nutzt die Schule das Nachwuchsleistungszentrum für den Unterricht und kann neben dem Crosslaufparcours, einer Weitsprunganlage und einer Kurzstreckenbahn auch den Beachvolleyballplatz für den Sportunterricht nutzen. Erstmals konnte die Schule so einen Sport-Leistungskurs für die Oberstufe anbieten. In Kürze entsteht noch ein Fitnessraum in der Schule, den der Verein mitnutzen kann.

Wie so vieles wirkt es, als ob es einer besonderen Inszenierung seitens des Vereins bedurfte, um den anwesenden Berichterstattern einen rosawolkenen Traum abseits des Chaos innerhalb des Lizenzspielerteams zu bereiten. Vor Eintritt in die REM-Phase folgt der Weckruf: „Es ist die Wirklichkeit. Hier winken die Nachbarn, wenn der St. Pauli-Bus mit dem Totenkopf-Logo durch die Straßen braust“, sagt Andreas Kahrs. Als Abteilungsleiter der Abteilung Fördernder Mitglieder (AFM) steht er dem größten Teil der Mitglieder vor, die den Gesamtpreis des Jugendtalenthauses in Höhe von 278.000 Euro finanziert hat. Das goldene Schild am Eingang des Jugendtalenthauses ist das einzige Merkmal, das das Reihenhaus von den anderen in der Neubausiedlung „Quartier Sonnengarten“ im Hamburger Randbezirk Schnelsen unterscheidet. Hier stehen den Jungkickern neben fünf Einzelzimmern noch ein Gemeinschaftszimmer, Küche und zwei Bäder zur Verfügung. Ehrenamtlich haben Mitglieder des Vereins Möbel ausgesucht, Lampen angeschraubt und Anschlüsse verlegt. Für den sorgfältigen Umgang mit dem eingebrachten Schweiß der Mitglieder haben die Bewohner selbst zu sorgen. „Die sind sich ihrer Verantwortung sehr bewusst“, weiß Claus Teister, der als Sozialpädagoge von der AFM angestellt ist und sich um die Entwicklung in allen Lebensbereichen der Jugendlichen kümmert. Zusätzlich versorgt eine Hauswirtschafterin aus der Nachbarschaft die Bewohner und Mitesser aus der Kooperationsschule mit einem Mittagstisch. „Dafür müssen wir uns am Abwasch beteiligen“, erklärt Marc Albrecht wenig begeistert. Die Einbindung der Spieler in die Führung des Haushaltes ist ausdrücklich erwünscht. „Ein guter Fußballer muss auch gut in der Küche sein“, grinst Teister.

Die beiden ersten festen Bewohner Lukasz und Erkan stammen eigentlich aus Hamburg-Horn. Doch die lange Anfahrt hätte es ihnen unmöglich gemacht, am Trainingsbetrieb teilzunehmen. „Mit dem Haus haben wir endlich die Möglichkeit, auch im Umland nach Talenten zu schauen“, sagt Zander. Vom „Massentourismus“, der bei manchen Internaten der Profi-Clubs Einzug gehalten hat, hält er nichts. „Häufig herrscht im Nachwuchsbereich bereits Hire-and-Fire-Mentalität“, sagt Bergmann. Vieles sieht danach aus, als ob St. Paulis Idyll in Schnelsen liege, nicht auf dem Kiez.