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: Immer auf die Fans

Das Bündnis aktiver Fußballfans beschreibt den oft nicht zimperlichen Umgang der Ordnungshüter mit Fußballanhängern

Ein Gutes hatte ja das erste Geisterspiel im deutschen Profifußball, das unlängst zwischen Alemannia Aachen und dem 1. FC Nürnberg ausgetragen wurde. Denn eine Feststellung fand sich in allen Berichten über die Begegnung vor leeren Rängen: Ohne Fans macht Fußball keinen Spaß. Dass die gespenstische Veranstaltung überhaupt durchgeführt werden musste, dafür sind allerdings auch Menschen verantwortlich, deren Fehlen so beklagt wurde: Fans. Natürlich sind es immer nur Einzeltäter, die ihre Trinkbecher, Sitzkissen und Feuerzeuge zu Wurfgeschossen machen. Wahrgenommen werden die Anhänger aus den Kurven jedoch meist nur als Mob. Wer in größeren Gruppen zu Auswärtsspielen des Vereins seiner Wahl reist, gilt prinzipiell als verdächtig. Dieser Eindruck drängt sich zumindest bei der Lektüre des Buches „Die 100 ‚schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans“ auf, das vom Bündnis aktiver Fußballfans (Baff) herausgegeben wurde.

In dem Buch kommen die Fans selbst zu Wort. Die Texte wurden zumeist in Fanzines oder ähnlichen Organen bereits veröffentlicht. Anekdotenhaft berichten die Anhänger darüber, wie sie von Polizei und Ordnungskräften be- bzw. misshandelt wurden. Von Freiheitsberaubung ist des Öfteren die Rede, weil Gästefans in einem Block des Stadions regelrecht eingesperrt werden und nicht einmal zur Verrichtung ihrer Notdurft herausgelassen werden. Von unverhältnismäßigen Personenkontrollen wird berichtet, bei denen sich Fans bis auf die Unterhose ausziehen mussten, obwohl nichts gegen sie vorlag, und es werden Prügelorgien geschildert, die von der Polizei ausgehen oder von Ordnungskräften, von denen die Autoren nicht selten vermuten, dass sie aus der Hooliganszene rekrutiert würden. Erzählt sind diese Horrorstories in einer launigen, anekdotenhaften Art, ohne jede Larmoyanz, beinahe so, als wären die Opfer ein wenig stolz darauf, dass sie in Konflikt mit der Polizei geraten sind.

Seit 1985 im Brüsseler Heyselstadion 39 Fans von Juventus Turin in der Panik, die nach dem Angriff englischer Hooligans auf italienische Fans losbrach, starben, ist die Sicherheit in und um den Stadien zum großen politischen Thema geworden. Eine Überwachungsmaschinerie wurde installiert, Sonderkommissionen und Fankarteien angelegt. Maßnahmen, die durchaus Rückhalt in der Bevölkerung fanden. Denn schließlich ging es darum, die Hooligans unschädlich zu machen. Welche Mittel inzwischen zur Ermittlung und Überwachung der Fanszene eingesetzt werden dürfen, haben die Herausgeber noch einmal gesondert zusammengestellt. 5.000 Fußballanhänger sind in der Datei „Gewalttäter Sport“ registriert. So genannte szenekundige Beamte sorgen dafür, dass in lokalen Polizeidienststellen noch mehr Daten gespeichert sind. Die Innenminister der EU beraten über einen erleichterten Datenaustausch, der es ermöglichen würde, die schon jetzt üblichen Ausreiseverbote für registrierte Fans auszuweiten.

Ungerechtigkeiten sind vorprogrammiert. Denn viele der in den entsprechenden Listen aufgeführten Fans sind alles andere als gewalttätig. Es ist leicht, in den Dateien zu landen. Oft genügt schon die Anwesenheit bei einem Spiel, in dessen Umfeld es zu Ausschreitungen kommt. Eine Löschung aus den Computern ist meist nur gerichtlich durchzusetzen. Genauso wie die Aufhebung eines offensichtlich unbegründeten Stadionverbots. Wer einmal in der Datei gelandet ist, muss seine Unschuld beweisen, sonst bleibt er drin. Kein Wunder, dass sich viele Fans in ihren Beiträgen zu dem Buch fragen, ob der Umgang mit Fans noch als rechtsstaatlich bezeichnet werden kann.

Aus Schweinfurt berichtet ein Fan von Hannover 96, dass man DNA-Analysen von Fingerabdrücken an Trinkbechern, die aufs Feld geworfen worden waren, durchgeführt habe. Ob diese Daten auch schon gespeichert werden? Wundern würde es die Leser des Baff-Buches sicher nicht. Mit dem Argument, den Hooliganismus in Europas Stadien zu bekämpfen, sind weitreichende Einschränkungen der Bürgerrechte durchgesetzt worden. Die Fans fühlen sich, das wird in beinahe jedem Beitrag des Buches deutlich, provoziert. Überdies sind viele der Meinung, dass die überreagierenden Sicherheitskräfte selbst zur Gewalt in den Stadien beitragen. Ein St.-Pauli-Fan drückt das so aus: „Und dann ist es tatsächlich nicht mehr weit, bis man halt auch mal selbst so weit ist, dass man diesen Knüppelschlag nicht mehr abwartet, sondern sich selbst mal Schienbeinschoner anlegt.“

ANDREAS RÜTTENAUER

Baff (Hrsg.): „Die 100 ‚schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans“. Trotzdem Verlagsgenossenschaft 2004, 10 Euro, ISBN 3-931786-35-8