Klamm und koscher

Die jüdische Zeitung „Aufbau“ blickt auf 70 Jahre Geschichte zurück. Rentabel ist sie längst nicht mehr – und macht doch trotzig weiter

VON JULIANE FLIEGENSCHMIDT

Wer sie aufgehängt hat, weiß niemand mehr genau. Vielleicht war es Lisa Schwarz, das langjährige Faktotum der Redaktion. Die Porträts von Albert Einstein und Thomas Mann sitzen jedenfalls den Redakteuren der jüdischen Zeitung Aufbau am Broadway in New York im Nacken: Die große Geschichte des Aufbaus verpflichtet zum Weitermachen – auch wenn die Zeitung seit Anfang der 90er chronisch klamm ist und kurz vor der Pleite steht.

Nachdem der Aufbau 1934 von jüdischen Emigranten gegründet worden war, entwickelte er sich schnell zur bedeutendsten Zeitung für die Einwanderer aus Deutschland. Über Anzeigen im Aufbau kamen auseinander gerissene Familien wieder zusammen. Geflohene deutsche Intellektuelle fanden in der Zeitung eine Heimat: Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt, Franz Werfel und Thomas Mann schrieben hier. Als erste amerikanische Zeitung berichtete der Aufbauim Juli 1942 über die Massenermordung von Juden in Polen. Über 50.000 Exemplare verkauften sich Mitte der 40er-Jahre, gelesen von 300.000 Menschen in 45 Ländern. Und nach dem Zweiten Weltkrieg beeinflussten Aufbau-Artikel zur Wiedergutmachung der Naziverbrechen deutsche Politiker – Adenauer war auch Abonnent.

Doch die große Zeit ist lange vorbei. Eine deutsch-jüdische Gemeinde? Existiert nicht mehr in New York. Deshalb wird seit zwei Jahren die Hälfte der Artikel in der 24 Seiten starken Zeitung in Englisch geschrieben. Um gleichzeitig auch mehr Leser in Deutschland anzusprechen, wurde 2002 ein Büro in Berlin mit drei Redakteuren eröffnet. Doch der Spagat zwischen englisch- und deutschsprachigen Lesern ist missglückt, gibt Chefredakteur Andreas Mink zu. Von den 9.000 Exemplaren werde inzwischen nicht einmal mehr die Hälfte in den USA verkauft.

„Inzwischen bin ich mir sicher, dass mit dem Aufbau in den USA nicht mehr allzu viel erreicht werden kann“, meint Mink.

Auch auf dem deutschen Zeitungsmarkt hat es der Aufbau schwer. Anrufe bei den jüdischen Gemeinden ergeben, dass das Blatt „selbstverständlich bekannt“ sei, aber kaum gelesen werde.

„Ein Grund ist sicher, dass der Aufbau halb in Englisch erscheint“, meint Hans Bohrmann, Zeitungsforscher aus Dortmund. Außerdem gibt es mit der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung bereits eine jüdische Zeitung – und die Hälfte der jüdischen Gemeinden besteht inzwischen aus russischen Einwanderern. Für Julius Schoeps, Vorstandsmitglied der Berliner Gemeinde, ist damit klar: „Der Aufbau sollte sich noch mehr an ein nichtjüdisches Publikum wenden, das an jüdischen Themen interessiert ist.“

Zurzeit erwägt die Jüdische Gemeinde in Berlin, mit dem Aufbau zu kooperieren. Und das wäre dringend nötig. Im letzten Jahr haben allein Spenden und zwei große Nachlässe die Zeitung gerettet. Deshalb gab es in den letzten Jahren etliche Versuche von Kooperationen: Mal war es ein deutscher Verlag, der kurz vor dem Kauf des Aufbaus stand, dann ein britischer – oder es wurde eine Zusammenarbeit mit deutschen Zeitungen anvisiert, wie vor einigen Jahren mit der Wochenpost. Doch entsprechende Verhandlungen scheiterten.

Aber der Wille ist da. „Diese Zeitung hat es nicht verdient, nach einer 70-jährigen Geschichte einfach zu verschwinden“, sagt Julius Schoeps.