Nach dem Präsidentenpoker: Steuerharmonie

Schon wieder haben sich die Unionsparteien geeinigt – diesmal auf ein gemeinsames Steuerkonzept

„Steuervereinfachung wird als Etikett zur Umverteilung von unten nach oben missbraucht“

BERLIN taz ■ Die Schwesterparteien der Union sind sich einig über ihr Steuerkonzept. Das bestätigte gestern Fraktionsvize Friedrich Merz, ohne Details zu nennen. Am Sonntag treffen sich in Berlin die Präsidien von CSU und CDU um das Konzept abzusegnen.

Die Einigung gelang den Finanzexperten der beiden Parteien, dem bayerischen Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) und Merz (CDU) am Donnerstagabend. Wie aus Kreisen verlautete, vereinbarten sie eine Reform in zwei Schritten. Im ersten Schritt soll noch am alten Progressionstarif der Einkommensteuer festgehalten werden: Erst im zweiten soll das Merz’sche Stufenmodell (mit Sprüngen von 12, 24 und 36 Prozent) eingeführt werden. Allerdings soll die Spitzensteuer bereits im ersten Schritt auf 36 Prozent sinken. Faltlhauser wollte 39 Prozent, nach der geltenden rot-grünen Steuerreform sinkt die Spitzensteuer 2005 auf 42 Prozent.

Die Pendlerpauschale soll entgegen Merz’ Wunsch beibehalten werden, allerdings in stark reduzierter Form. Offenbar denken die Unionsexperten an eine stärker pauschalisierte Form. CDU-Vizechef Jürgen Rüttgers gab gestern in der Westfalenpost einen Anhaltspunkt: Nur wer weiter als 30 Kilometer zur Arbeit fahre, solle noch eine Pauschale von dann 500 Euro erhalten. Die Netto-Steuerentlastung im ersten Schritt der Reform soll dem Vernehmen nach 10 Milliarden Euro betragen.

SPD-Fraktionsvize Joachim Poß machte dagegen deutlich, dass die SPD-Fraktion ihre Steuerpolitik künftig stärker an sozialpolitischen Kriterien ausrichten wolle. Steuerausfälle im zweistelligen Milliardenbereich seien derzeit nicht zu finanzieren. Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel sieht ebenfalls keinen Spielraum für Entlastungen. „Alle Vorschläge, wie sie derzeit auf dem Tisch liegen, sind einfach nicht finanzierbar. Punkt.“ Die bisherigen Konzepte von CDU, CSU, FDP, Sachverständigenrat und einigen Bundesländern (Kirchhof-Modell) bringen Steuerausfälle zwischen 10 und 25 Milliarden Euro. Angesichts der Tatsache, dass nach den bisherigen Prognosen Deutschland dieses Jahr – trotz Aufschwung – zum dritten Mal in Folge die Maastricht-Kriterien überschreiten wird, wäre das schwer zu schultern.

Die Angaben von Merz und Co, ihr Steuerkonzept werde eine Entlastung um 10 Milliarden Euro bringen, sind mit Vorsicht zu genießen. Die Länderfinanzexperten erwarteten von seinem bisherigen Konzept Ausfälle von 25 Milliarden Euro, von dem der CSU 13 Milliarden. Die grüne Finanzexpertin Scheel glaubt nicht an die von Merz versprochene Vereinfachung. Die Streichung diverser Pauschalen wie der Übungsleiterpauschale oder dem Sparerfreibetrag brächte im Effekt ohnehin für viele Steuerzahler eine kompliziertere Lage, weil sie dann alle Ausgaben einzeln vorm Finanzbeamten deklarieren müssten.

Noch weiter geht Achim Truger. Der Finanzexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts WSI kommt nach einer intensiven Analyse der ursprünglichen Modelle von Merz und Faltlhauser zu der Einschätzung: „Es besteht der Verdacht, dass das Etikett der Steuervereinfachung letztlich zur Umverteilung von unten nach oben missbraucht werden soll.“ Truger hat für das gewerkschaftsnahe WSI einmal alle Steuerkonzepte modellhaft durchgerechnet und verglichen mit der Gesetzeslage nach der letzten Stufe der rot-grünen Steuerreform im kommenden Jahr.

Demnach würde eine ledige Oberschwester (34.500 Euro Jahresgehalt) beim Merz-Modell 1,4 Prozent weniger Nettogehalt übrig behalten, beim CSU-Konzept gar 4 Prozent weniger. Auf fast identische Verluste käme eine Arbeiterfamilie mit mittleren Einkommen (Facharbeiter und Teilzeitverkäuferin, zwei Kinder). Ein lediger leitender Angestellter (66.500 brutto) behielte dagegen 11 Prozent (Merz) oder 9 Prozent (CSU) mehr in der Tasche. Ein Manager (brutto 208.000) mit Familie (Hausfrau, zwei Kinder) würde 5 (Merz) oder 2,4 Prozent (CSU) mehr netto herausbekommen.

Während Oberschwester und Facharbeiter vor allem unter der Abschaffung der Steuerfreiheit von Schicht- und Feiertagszuschlägen litten, profitierte der Angestellte voll von den niedrigeren Steuersätzen. Der Manager dagegen profitiert von der niedrigen Spitzensteuer, kann aber nicht mehr so viele Verluste ansetzen. Da die ermittelten Werte sich zwischen CDU- und CSU-Konzept kaum unterscheiden, ist auch beim Kompromiss mit einem ähnlichen Bild zu rechnen. MATTHIAS URBACH