Unvermeidlich: Der kleine Grenzverkehr

Das Grundgesetz macht die Menschen frei, ihre sozialen Ansprüche auf Unterstützung und Hilfe im Lande Bremen nachzufragen. Ohne Rücksicht auf die Kosten für Bremen. Mit drei Problemfeldern muss sich der aktuelle Senat befassen

Sind die Betriebe eben selber schuld, wenn sie Fremdlinge aus dem Umland einstellen.

Bremen taz ■ Wenn Menschen, die im niedersächsischen Umland wohnen, nach Bremen kommen und in der Stadt Geld lassen, dann findet das in den offiziellen Papieren der Landesregierung ausschließlich positiven Widerhall: Die Stadt ohne eigenes Umland will „oberzentral“, also attraktiv für die Umländer sein – jedenfalls für die konsumfreudigen unter ihnen. Nun kommen über dieselbe Landesgrenze aber auch Menschen in die Stadt, die nicht so viel Geld ausgeben wollen. Und da beginnt für den Senat das Problem.

So kommen zum Beispiel Arbeitskräfte mit kleinen Kindern, insbesondere also Mütter, aus Niedersachsen hierher. Seit 1995 fördert Bremen Firmen, die für die Kinder ihrer Arbeitskräfte Betreuungsplätze einrichten, insbesondere für unter 3-Jährige. Aber bitte nur für Mütter, deren erster Wohnsitz in Bremen ist. Nun wurde 2003 die betriebsnahe Betreuung von Kindern in der Stadtgemeinde Bremen an drei Standorten ausgebaut. „Es ist zu erwarten, dass dort Kinder aus dem Verantwortungsbereich anderer örtlicher Jugendhilfeträger aus dem niedersächsischen Umland aufgenommen werden oder bereits aufgenommen worden sind“, heißt es in einem Bericht, der dem Senat am kommenden Dienstag vorliegt. Er handelt von den langwierigen, ergebnislosen Verhandlungen mit Niedersachsens Landesregierung und den Kommunen. Fazit: Zuschüsse für die betreuten Kinder niedersächsischer Mütter wird es weiterhin nicht geben. Sind die Betriebe eben selber schuld, wenn sie Fremdlinge aus dem Umland einstellen. Berlin und Brandenburg haben da über einen Staatsvertrag eine menschenfreundlichere Regelung gefunden, räumt der Senatsbericht ein. Aber diese Vereinbarung „wird getragen von der Fusionsabsicht beider Länder und dem großen Kooperationswillen der Beteiligten“.

Mindestens genauso ‚ärgerlich‘ für den Senat sind die Sozialhilfeempfänger, die über die Landesgrenze kommen. „Welche rechtlichen Möglichkeiten hat der Senat, um diesen Personenkreis dazu zu bewegen, sich nicht in Bremen niederzulassen?“, wollte die CDU vom Senat wissen. Früher hatte das Amt für Soziale Dienste überhaupt nicht gefragt, ob jemand gerade umgezogen ist oder nicht, muss die Sozialsenatorin einräumen. Nun gibt es aber eine Regelung im Bundessozialhilfe-Gesetz, nach der die frühere Kommune für zwei Jahre die Sozialhilfe erstatteten muss. In Bremen wird seit 2003 also nachgefragt. Und siehe da: 300, 400, 500 Sozialhilfeempfänger überschreiten jedes Jahr die Landesgrenze, mehr als die Hälfte kommen allerdings aus ferneren Ländern als Niederachsen. Sofern die „abgebende“ Kommune in Deutschland liegt und nicht irgendwo in Afrika, kann Bremens Sozialkasse also kassieren – mehrere Millionen Euro jährlich. Im Jahre 2005 läuft die gesetzliche Rückerstattungs-Regelung allerdings schon wieder aus.

Aber was kann man gegen diese Grenzgänger tun? Es gilt auch für sie die freie Wahl des Wohnortes, nach Artikel 11 des Grundgesetzes – das wird der Senat am Dienstag auf die Frage der CDU antworten. Einer der Gründe für einen Umzug ist eben „die geringere Stigmatisierung von Armut“ in der Stadt, heißt es in der Senatsantwort. Nur die Umzugshilfe kann man verweigern. Für Menschen, die nach Bremen ziehen, zahlt allerdings die „Herkunftskommune“. Eine spannende Frage wäre: Verweigert Bremen die Umzugshilfe für Sozialhilfeempfänger, die wegziehen wollen? Da aber schweigt die Höflichkeit des Sozialressorts. Die CDU hatte danach ja auch nicht gefragt.

Ein drittes Grenzproblem werfen Jugendliche auf, die in Bremen eine Lehrstelle haben. Sie also praktisch bremischen Landeskindern wegnehmen. Wie viele sind das, was kann man dagegen tun, wollte wiederum die CDU wissen. Nach der Bundesstatistik ist der Wohnort von Azubis kein „Erfassungsmerkmal“, teilt der Senat lapidar mit. Denn nach Artikel 12 des Grundgesetzes steht jedem die Wahl der Arbeits- bzw. der Ausbildungsstätte frei. In Bremen wurde dennoch einmal nachgezählt und siehe da: Im Jahre 2003 saß auf jedem dritten Platz in den Bremer Berufsschulen ein Azubi ohne Bremer Staatsangehörigkeit. Die meisten Fremden kommen natürlich aus Niedersachsen. Tun kann man da leider nicht, wird der Senat am Dienstag beschließen. „Ausbildungsverträge werden von den Unternehmen und nicht vom Senat geschlossen. Unternehmen lassen sich in ihrem Einstellungsverhalten nicht durch Landesgrenzen beeinflussen.“ Der Vorschlag des Chefs der Senatskanzlei, eine Art Maut an der Landesgrenze zu erheben, war vor einigen Jahren schon abgelehnt worden. kawe