„Die Politik hat zu viel Angst“

Martin Patzelt

„Bei Schwarz-Grün würden die Christdemokraten für die Wirtschaft sorgen und die Grünen für Nachhaltigkeit. Für mich als Christ waren die Grünen schon immer die Propheten“ „Mein polnischer Kollege Bodziacki hat einen Teil seiner Jugend in Frankfurt verbracht. Wir sind also beide Frankfurter, und wir sind beide Słubicer. Eigentlich sind wir beide Słubfurter“

Zu DDR-Zeiten war Martin Patzelt Sozialarbeiter. Nun ist der 56-jährige CDU-Politiker seit zwei Jahren Oberbürgermeister von Frankfurt (Oder). Seitdem wird in dem „liebenswerten Vorort von Berlin“, wie er sagt, wieder über Zukunft diskutiert. Patzelt schlägt Brücken nach Polen, will die Viadrina-Chefin Gesine Schwan „for President“, plädiert für Schwarz-Grün in Brandenburg und lobt die zahlreichen Veränderungen, die von außen an die Stadt herangetragen werden. So viel Veränderung findet nicht immer Zuspruch. Nicht in Potsdam und auch nicht beim „bodenständigen“ Frankfurt

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Patzelt, wie viele Tage sind es noch bis zum 1. Mai?

Martin Patzelt: 54.

Ganz schön wichtig, der Tag, wenn Sie das auswendig wissen.

Das wird ein besonderer Tag, weil wir dann einen Meilenstein in einer Entwicklung erreicht haben werden, auf die wir in den vergangenen zehn Jahren hingearbeitet haben.

Was werden Sie persönlich an diesem Tag machen?

Ich werde feiern. Wir werden den Beitritt Polens zur EU mit viel Fantasie, Humor und Lust begehen.

Werden Sie mit Herrn Bodziacki, dem Bürgermeister von Słubice, auf der Stadtbrücke ein Glas Sekt trinken?

Das werden wir schon in der Nacht tun.

Was hat sich jenseits von symbolischen Gesten an der Zusammenarbeit zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice geändert?

Es gibt mehr Verständnis füreinander. Trotz der unterschiedlichen Mentalitäten, die noch oft zu Missverständnissen führen.

Sagen Sie uns ein Beispiel.

Das läuft immer wieder auf dieselben Dinge hinaus. Die Deutschen planen langfristig und gründlich, sie haben alles schön in den Schubfächern, alles kategorisiert. Die Polen dagegen sagen, das ist ja alles noch eine Weile hin. Wenn es dann so weit ist, improvisieren sie und sagen: Unsere Lebenserfahrung lehrt uns, dass wir das dann immer noch irgendwie hinbekommen. Da haben nun beide Seiten mehr Verständnis für das Herangehen der jeweils anderen bekommen.

Sie selbst haben ein sehr gutes Verhältnis zu Herrn Bodziacki. Auf Festen fordert er sogar ihre Frau zum Tanzen auf. Wie wichtig ist die Chemie für die Zusammenarbeit über die Grenze hinweg?

Gerade wegen der mentalen Unterschiede muss ein Grundvertrauen da sein. Wir müssen unsere Verschiedenheit kennen, sie akzeptieren und sie vielleicht auch als ein Stück Bereicherung betrachten. Es gibt ja vonseiten des polnischen Bürgermeisters vorbehaltlose Bekenntnisse zu dieser Stadt. Neulich hat er einmal gesagt: Wenn es Frankfurt (Oder) nicht gäbe, wäre er schon lange nicht mehr Bürgermeister von Słubice. Das hält ihn hier, das ist ihm wichtig. Er sagt ja auch immer, dass er in den Siebzigerjahren, als die Grenze offen war, einen Teil seiner Kindheit in Frankfurt (Oder) verbracht hat. Dass seine Spielplätze hier waren, dass er hier seine Eroberungen gemacht hat.

Eroberungen?

(lacht). Seine regionalen Eroberungen.

Wie ist das bei Ihnen?

Das ist bei mir nicht ganz so. Ich war als junger Mensch auch häufig in Polen, aber weniger in Słubice, sondern in der Heimat meiner Eltern in Schlesien.

Finden die Annäherungen, die Sie beschreiben, auch zwischen den Bürgern beider Städte statt?

Das ist ein Prozess. Mittlerweile ist es so, dass die Frankfurter mit einer größeren Selbstverständlichkeit in Słubice sind, nicht nur zum Einkaufen, sondern auch zu kulturellen Ereignissen, bei Festen. Das Gleiche gilt auch für die Słubicer in Frankfurt. Denken Sie nur an die vielen Studenten. 1.500 polnische Studenten haben wir inzwischen, das prägt auch das Stadtbild.

Noch vor fünf Jahren haben viele Frankfurter gesagt: Was sollen wir mit Słubice, so einem Kaff.

Das ist nicht mehr so. Die Frankfurter wissen, wie wichtig Słubice ist.

Weil viele Einzelhändler ohne polnische Kunden nicht mehr überleben könnten?

Auch, aber nicht nur.

Dann ist es ja nur eine Frage der Zeit, bis einmal die Straßenbahn über die Stadtbrücke fährt.

Das ist eine Frage der Zeit und des Geldes. Wir brauchen erst einen Kostenvergleich. Ich möchte nicht, dass wir aus ideologischen oder nostalgischen Gründen eine solche Entscheidung treffen. Wir haben allen Grund dafür, beiderseits der Oder zu rechnen.

Aber Sie wünschten sich die Straßenbahn.

Herr Bodziacki wünscht sie sich. Ich wünsche sie mir. Wir sind beide Frankfurter. Und wir sind beide Słubicer. Sie sehen, ich rede auch schon so wie ein „Słubfurter“.

Vor drei Jahren ist ein grenzüberschreitender Bus noch am Widerstand der Taxifahrer in Słubice gescheitert.

Das stimmt. Aber daraus haben wir auch eine Lehre gezogen. Wir müssen die Interessen des andern als ihr eigenes Recht ansehen. Bei der Suche nach Gemeinsamkeiten müssen wir diese Punkte auch immer ausgiebig diskutieren. An der wirtschaftlichen Existenz der Taxifahrer hängen viele Familien. Und die Taxifahrer hatten eine nachvollziehbare Angst, dass diese Existenz mit einem solchen Bus gefährdet wird. Das sollte auch jeder in Frankfurt (Oder) verstehen.

Wenn man Sie so reden hört, könnte man glauben, Sie sprechen von einem anderen Frankfurt als dem, wie es immer wieder durch die Medien geistert.

Frankfurt war eine Stadt mit 3.000 hauptamtlichen Mitarbeitern der Staatssicherheit. Dann gab es noch den Armeesportklub, die Parteibezirksschule. Die Parteibezirksleitung. Die Parteikreisleitung. Den Rat des Bezirks.

Wer hat die Stadt verändert?

Die Studenten. Die Künstler.

Also eine Veränderung von außen?

Wenn Sie die Studenten als einen Teil von außen betrachten. Wenn Sie sie als Frankfurter sehen, kommt es natürlich auch von innen. Aber sie haben Recht, es kommt nicht von der bodenständigen Bevölkerung. Die Veränderungen wurden angestoßen von Protagonisten aus dem Bereich der Universität und der Kultur, zum Beispiel durch die Künstlervereinigung „Słubfurt“.

SED-Stadt und Studentenstadt – wie ging das zusammen?

Nach der Gründung der Viadrina war es so, dass sich das bodenständige Frankfurt und die Universität wie zwei Fremdkörper gegenüberstanden. Aber inzwischen sind Stadt und Universität aufeinander zugegangen, haben sich geöffnet, auch die Viadrina feiert nicht mehr nur in ihren Hallen, sondern öffnet sich zur Stadt hin. Das ist auch ein großes Verdienst der Viadrina-Präsidentin Gesine Schwan.

Bei den Studenten hält sich die Lust auf Frankfurt in Grenzen. Die pendeln immer noch in der Mehrzahl von Berlin zur Viadrina.

Aber sie prägen zunehmend das Bild der Stadt. Überall gibt es neue Kneipen.

Frankfurt wird zur Studentenstadt?

Natürlich. Wahrnehmbar. Aber es ist auch immer noch ein Vorort von Berlin. Eine Stadt , in die zu reisen es sich aber lohnt, weil man da studieren kann, etwas über Polen erfahren kann, ein kleiner, lebens- und liebenswerter Vorort. Das muss kein Widerspruch sein.

Wie reagiert das bodenständige Frankfurt auf diese Veränderungen?

Es begreift die Universität auch als ihre Einrichtung. Zum Beispiel die Seniorenakademie. Oder die Projekte der Viadrina in den Schulen. Darüber hinaus empfinden viele Frankfurter auch die polnischen Bewohner und Studenten, die Grenzlage, als etwas Normales. Man hat Ängste verloren. Man hat gesehen, dass es geht. Dass die Kriminalität nicht so gewachsen ist wie befürchtet. Da sprechen die Fakten gegen die Ressentiments und die Vorurteile. Das bekommen die Menschen mit. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Einzelmaßnahmen, die Anschluss geboten haben für große Teile der Bevölkerung. Das deutsch-polnische Gymnasium, die deutsch-polnische Kita, die Schulen, an denen polnische Schüler aufgenommen werden, etwa die Waldorf-Schule. Es gibt kaum einen Verein, in dem es nicht auf der anderen Seite inzwischen ein Pendant gäbe. Das geht bis zum Briefmarkenverein.

Wenn man Sie so reden hört, hat man den Eindruck, als läge die Zukunft Frankfurts in Polen.

Die Zukunft liegt in unserer Gemeinsamkeit. Frankfurt bekommt als Oberzentrum 180 Grad dazu. Die großen Städte wie Gorzów und Zielona Góra sind etwa 80 bis 100 Kilometer entfernt. All die anderen kleinen Städte und die Landbevölkerung haben die Möglichkeit, sich im Zuge angleichender Lebensverhältnisse sich auf Frankfurt zu orientieren. Deshalb ist es so wichtig, dass wir dafür Vorsorge treffen.

Oberzentrum in einem gemeinsamen deutsch-polnischen Verflechtungsraum: Das ist nicht mehr das Leitbild Silicon Valley an der Oder. Wie sehr hat es sie geschmerzt, als endlich klar war, dass die Chipfabrik nicht nach Frankfurt kommt. Oder hat es Sie auch befreit, hat es den Blick auch auf andere Zukünfte ermöglicht?

Ich hatte große Angst davor. Ich hatte eine erbärmliche Angst vor der Depression, die diese Stadt befällt. Für mich war das bis zum Schluss nicht gegessen. Ich habe gehofft und gebangt und habe mich gefragt, was die Menschen sagen, was ich ihnen sage. Heute bin ich erstaunt, wie schnell die zum Alltag übergegangen sind.

Waren Sie verbittert darüber, als sie gehört haben, dass Dresden quasi von heute auf morgen eine Chipfabrik bekommt?

Ja. Ich war erbittert.

Woran liegt es, dass die Dresdner das bekommen, was Frankfurt jahrelang wollte?

Das, was man da sagen würde, ist schwierig zu sagen, weil vieles nicht beweisbar ist. Aber wenn ich nur die temporären Zusammenhänge betrachte, stellen sich viele Fragen. Das Abrücken der Bundesregierung von unserem Finanzierungskonzept und die gleichzeitige Erklärung von AMD in Dresden, dass sie die Investition durchziehen wollen, und das bei einer Bürgschaft der Bundesregierung, die viel höher ist als die in Frankfurt (Oder). Da ist man schon geneigt, den Gerüchten zu glauben, dass die die Bundesregierung schlichtweg vor die Alternative gestellt haben: die oder wir.

Herr Patzelt, was sind Sie für ein Politikertyp. Man hört bei Ihnen immer wieder das Wort innovativ. Sie sind kommunikativ, offen, ein Sympathieträger. Ist der Mensch Patzelt so oder hat er sich das erarbeitet?

Der ist so. Sehen Sie, ich hab ja keine Politikerkarriere hinter mir. Ich habe die schönsten Jahre meines Lebens in einer völlig anderen Arbeit verbracht. Ich war Sozialarbeiter und habe 20 Jahre lang ein Kinderheim für verhaltensauffällige junge Menschen geleitet. Ich habe mich nicht in diesen Job gedrängelt, ich bin mehr geschoben worden.

Aber nun füllen Sie ihn aus.

Das ist so.

Ist das Amt des Oberbürgermeisters in Frankfurt nur das Sprungbrett für andere Jobs, zum Beispiel in Potsdam?

Wenn Sie mein Lebensalter sehen, ich bin jetzt 56, und auch meine Bindung an die Stadt, dann eher nicht.

Ist das nun ein glaubhaftes Dementi oder nicht?

Das können Sie mir glauben. Ich habe nichts anderes vor. Ich will hier meine Arbeit ordentlich machen, das heißt so, dass die Menschen in dieser Stadt Hoffnung schöpfen.

Sie sind einer, der auf der einen Seite viel Verständnis für die Sorgen der Menschen hat, auf der anderen Seite aber auch auf Eigeninitiative setzt? Findet eine solche Politik in der großen Koalition in Brandenburg die nötige Unterstützung?

Ich glaube, die Politik hat zu viel Angst.

Wovor?

Vor dem, was sie den Menschen zumuten müsste.

Wäre Schwarz-Grün eine Konstellation, die das bewerkstelligen könnte.

Ja. Für mich als Christ waren die Grünen immer die Propheten. Bei Schwarz-Grün würde die CDU für die Wirtschaft sorgen und die Grünen für Nachhaltigkeit.

Und eine Bundespräsidentin Gesine Schwan?

Sie wäre ein Gewinn für die Republik und ein Verlust für die Stadt.