Skandal im Trainingslager

Der englische Spitzenverein Leicester City schickte seine Spieler nach Spanien, um sie zu motivieren. Jetzt sitzen drei in Untersuchungshaft. Weil sie drei Frauen in einem Hotel vergewaltigt haben sollen

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Die meisten britischen Profifußballer sind nette junge Männer, findet Gordon Taylor, der Chef der Spielergewerkschaft. Aber es gibt genügend steinreiche Hooligans unter den Spielern, die sich die meisten Nächte in Diskotheken herumtreiben, sodass der neueste Skandal keineswegs nur eine Ausnahme sei, meint der Fußballexperte Kevin Mitchell.

Bei dem neuesten Skandal geht es um den Verein Leicester City, der in der höchsten englischen Spielklasse gegen den Abstieg kämpft. Um die Spieler für den Abstiegskampf zu motivieren, hat der Club sie für ein paar Tage ins Trainingslager La Manga in Südspanien geschickt. Vorige Woche wurden neun Spieler verhaftet, weil sie in ihrem Hotel drei Frauen vergewaltigt haben sollen. Drei von ihnen, darunter der Deutsche Steffen Freund, sind inzwischen ohne Anklage freigelassen worden, drei weitere müssen sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten, durften aber gegen Zahlung einer Kaution nach England zurückkehren.

Der nordirische Nationalspieler Keith Gillespie, der Jamaikaner Frank Sinclair und Mannschaftskapitän Paul Dickov sitzen im Sangonero-Gefängnis bei Murcia. Die Gefängnisbehörde hat besondere Maßnahmen zum Schutz der Spieler ergriffen, weil sie bei ihrer Einlieferung von anderen Gefangenen bedroht worden sind. Falls sie schuldig gesprochen werden, blühen ihnen bis zu 14 Jahren Gefängnis. Das Gericht entscheidet heute oder morgen, ob es Anklage erheben wird. Bis zur Prozesseröffnung könnten allerdings zwei Jahre vergehen.

Solange möchte Leicester City nicht auf seine wichtigsten Spieler verzichten. Um sie gegen Kaution freizubekommen, hat der Verein seine Anwälte nach Spanien geschickt. Keith Vaz, der Unterhausabgeordnete für Leicester und frühere Staatssekretär, hat sich als Bürge angeboten. Schließlich seien die Spieler international bekannt, sodass sie nicht untertauchen können.

Leicester City hatte in La Manga schon einmal Hausverbot. Vor vier Jahren entleerte der Stürmer Stan Collymore einen Feuerlöscher an der Bar. Das Team musste abreisen, Collymore wurden zwei Wochenlöhne abgezogen. Tony Coles, der Geschäftsführer des Hotels, sagte, man habe das Hausverbot aufgehoben, weil nur noch zwei Spieler von damals dabei seien und der Verein ein neues Management habe. „Wir bedauern unsere Entscheidung sehr“, sagte Coles.

Der Fall macht in britischen und spanischen Zeitungen seit fast einer Woche Schlagzeilen. Arsene Wenger, der französische Trainer des FC Arsenal, sagte: „Die Spieler sind verurteilt worden, ohne dass sie schuldig gesprochen wurden. Falls sie aber schuldig sind, wäre das für unseren Beruf furchtbar.“

Der englische Profifußball ist in den vergangenen Jahren des Öfteren von Skandalen erschüttert worden. Die Fälle reichten von Alkoholmissbrauch über Dopingvorwürfe bis hin zu Vergewaltigungsklagen. Kevin Mitchell glaubt, das Schlüsselereignis für den Verfall der Sitten im englischen Fußball habe sich bei der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich zugetragen. „Der Spieler Glenn Hoddle hat damals zugegeben, dass die Mannschaft dazu ermuntert worden sei, durch Schauspielerei Elfmeter herauszuschinden“, sagt Mitchell. „Das war die Absegnung einer Charta für Schummler.“

Vom Elfmeter schinden bis zur Vergewaltigung ist es freilich ein weiter Weg. Die drei Frauen – Afrikanerinnen, die in Berlin leben – haben die Spieler unabhängig voneinander identifiziert. Sie sollen die Tür des Hotelzimmers um fünf Uhr morgens eingetreten haben und über die Frauen hergefallen sein. Das Boulevardblatt Sun hat natürlich ein paar Zeugen ausfindig gemacht, die „Schmerzensschreie“ gehört haben wollen. Aber sie zitiert auch den Freund eines Spielers: „Sie mussten zugeben, dass sie bei den Mädels im Schlafzimmer waren. Aber sie bestreiten, irgendjemanden zum Sex gezwungen zu haben. Sie glauben, sie sind hereingelegt worden.“

Für Leicester City könnte der Fall weitreichende Konsequenzen haben. Abgesehen davon, dass dem Verein die Spieler im Abstiegskampf möglicherweise fehlen werden, könnten auch die Sponsoren abspringen, die den Club 2002 vorerst vor dem Bankrott retteten.