Nicht mit Haut und Haaren

Zum Teil, teilweise: Das komische Potenzial einer verhaltensauffälligen Worthülse

Der Kannibale hat also sein Opfer nicht mit einem Mal und Bissen verschlungen

Das erste Mal richtig verhaltensauffällig und infolgedessen komisch wurde das Wort „teilweise“ im vergangenen Jahr im Zuge der Berichterstattung über die kannibalistischen Vorkommnisse in Rotenburg an der Fulda, in deren Folge nämlich überall zu lesen war, der Tatverdächtige habe sein Opfer vermutlich „getötet und teilweise aufgegessen“. Diese Wendung kehrte dann beharrlich auch wieder in den daran gierig sich anschließenden Berichten über frühere Fälle von Kannibalismus. Von der Eigendynamik medialer Wort-Parthenogenesen abgesehen: Was war eigentlich der Informationsgehalt dieser stereotypen Formel? Dass der Betreffende sein Opfer nicht mit einem Mal und Bissen verschlungen hat, sondern nach und nach, Stück für Stück sozusagen? Das vielleicht nebenbei auch – aber doch wohl vor allem, dass er ihn nicht ganz, nicht restlos, mit Haut und Haaren und allem darunter, aufgegessen habe, sondern eben nur „ein Stück weit“, wie es hier einmal passend auf Engholm-Deutsch heißen könnte. So weit, so schaurig genug – und doch auch komisch: Als müsste bei jeder weiteren medialen Einlassung zu diesem Thema stets erneut der nahe liegenden, aber irrigen Meinung entgegengetreten werden, der Kannibale habe in seinem Eifer die Knochen gleich mit verzehrt.

Aber auch die kurze, einschränkende Wendung „zum Teil“ enthält komisches Potenzial und fiel vor kurzem in einem weniger grellen Kontext auf, nämlich im Rahmen einer Meldung über die 39. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, auf welcher der Zürcher Germanistik-Professor Harald Burger feststellte, dass die Medien immer mehr traditionelle Redewendungen verwendeten, diese von Jugendlichen aber immer weniger verstanden würden. In einer Studie hatte er jugendlichen Versuchspersonen Texte aus Massenmedien vorgelegt, in denen Redewendungen wie „Öl ins Feuer gießen“ oder „den Nagel auf den Kopf treffen“ vorkamen. Das Ergebnis dieser Studie fasste Burger wie folgt zusammen: „Leute unter 20 Jahren verstehen dabei weniger diese so genannten Idiome als ältere Menschen und lehnen sie zum Teil auch ab.“ (Kölner Stadt-Anzeiger)

Angesichts dieser stringenten Zusammenfassung der Forschungsergebnisse, die sich syntaktisch womöglich noch perfektionieren ließe („Leute unter 20 Jahren verstehen dabei diese so genannten Idiome weniger als ältere Menschen und lehnen sie zum Teil auch ab.“), stellt sich aber die logische Frage: Ja, wie denn nun? Wenn sie sie ablehnen, sollten sie sie doch eigentlich wohl auch verstehen – oder etwa nicht?

Oder aber sollte dieses Resultat einen – gerade in seiner paradoxen Form – nicht schon fast wieder hoffen lassen, wenn man es vergleicht mit dem einige Tage zuvor publik gewordenen Ergebnis einer im Auftrag der Zeitschrift TV Hören und Sehen durchgeführten Umfrage des Hamburger Gewis-Instituts, der zufolge immer weniger Zuschauer die Meldungen der „Tagesschau“ verstehen („Nur noch jeder zehnte Deutsche versteht jedes Wort in den Abendnachrichten: 88 Prozent begreifen die Inhalte in der täglichen Tagesschau nicht mehr“, Süddeutsche Zeitung), weil sie mit Worten wie „Vermittlungsausschuss“, „Scud-Rakete“, „Konvergenz-Kriterien“ oder „UN-Resolution“ nichts Bestimmtes verbinden können? Wenn dies stimmt, dann scheint das die vermutlich mehrheitlich Erwachsenen unter den Zuschauern aber nicht daran zu hindern, trotzdem nach Kräften und auf Teufel komm raus über die jeweils akutesten Tagesthemen mitzuquatschen wie nichts Gutes, und vor diesem Hintergrund strahlt der Befund über die wenigstens „zum Teil“ noch vorhandene Widerstandskraft der fernseh- und computergeschädigten Jugend gegenüber dem, was sie eh nicht verstehen, nun umgekehrt etwas schon wieder nahezu Tröstliches ab. So oder so kann ich nun die Jugendlichen schon besser verstehen. Jedenfalls teilweise.

HENDRIK SCHNEIDER