DDR-USA-Vergleiche etc.
: Eine obskure Lesung im Goethe-Institut in New York

Wie im Osten

Vor einiger Zeit wurde ich zu einer Lesung ins New Yorker Goethe-Institut eingeladen. Da ich schon immer mal in meinen Lebenslauf schreiben wollte: Internationale Leseerfahrungen vorhanden, sagte ich zu. Mit einer anderen deutschen Autorin sollte ich eine Stunde das Publikum unterhalten. Ich suchte ein paar Geschichten heraus, die ich für Amerika passend fand, und war gespannt, ob sich das New Yorker Publikum vom Berliner unterscheidet.

In New York angekommen, begab ich mich ins Goethe-Institut. Die Leiterin begrüßte mich und fragte dann: „Frau Schmidt, haben wir Ihnen schon gesagt, dass noch ein weiterer deutscher Autor lesen wird?“ – „Nein.“ – „Ja, der Thomas Brussig, ist ja ein ganz bekannter Mann in Deutschland, das ist doch sicher kein Problem für Sie, oder?“ – „Wie lang soll die Lesung denn sein?“ – „Eine Stunde für Sie drei und die Übersetzer, also 10 Minuten für jeden.“ 10 Minuten? Für eine 10-minütige Lesung nach New York? „Danach gibt es dann eine Diskussion.“ Für eine 10-minütige Lesung mit anschließender Diskussion nach New York? Jetzt müsste sie nur noch sagen, dass es nach der Lesung zu ihr nach Hause geht oder die Gage in Zloty ausgezahlt wird. Ich wartete, doch sie schien am Ende ihrer Ankündigungen.

Eine Viertelstunde später waren alle da. Die alte Frau mit den laut raschelnden Plastiktüten, der zwanghafte Huster neben der Dame, die weder Deutsch noch Englisch versteht, die Handyklingler und die alten deutschen Kulturrecken. Ich las als Erste. Nach fünf Minuten stand die Frau mit den Plastiktüten umständlich auf und ging. Bei der zweiten Autorin hatte der Handyklingler seinen Einsatz, bei Brussig der Huster.

Nachdem die Zuschauer ihren Einsatz hatten, saßen wir stumm auf unseren Stühlen, bis Frau Hubratsch die Diskussion eröffnete. Das Publikum erinnerte sich seiner Pflicht und stellte Fragen. Ob sich Amerika auf meine Art zu schreiben auswirke? „No“, antwortete ich. Da erwachte Brussig, der bisher still neben mir saß. „Du bist ja aus’m Osten!“, schrie er mich an. – „Bin ich nicht.“ – „Doch, das hör ich an der Art, wie du Englisch sprichst. Jetzt gib es doch zu.“ – „Ich bin Westberlinerin.“ – „Gar nicht wahr.“

Ich haute ihm auf die Finger und beendete das Gespräch. „Sind wir hier bei der Stasi?“ Dann wurde ich gefragt, was ich von den allgegenwärtigen Flaggen in Amerika halte. Was soll man da antworten? Mit einem Blick zu Brussig sagte ich, dass mich das schwer an den 1. Mai in der DDR erinnere.

Die Zuschauer waren mit diesem Vergleich einverstanden, kurz darauf war die Diskussion beendet. Jetzt gab es Wein und Käsehäppchen im Foyer. Eine ältere Dame gesellte sich zu mir und wurde als der deutsche Kulturattaché in New York vorgestellt. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich an ihren Busen. „Also, Ihre Geschichten, die waren toll.“ Ihre Fahne haute mich fast um. Die Kulturattachistin war sternhagelvoll. Sympathisch. Sie erzählte mir von ihren Kindern, von ihren Häusern in Bonn und in der Nähe von New York, dass sie viel zu wenig verdiene und die Miete, die sie für das Haus in Bonn bekommt, kaum ihre Unkosten decke. „Aber Ihre Geschichten, die waren toll.“ – „Danke, möchten Sie noch ein Glas?“ – „Ach ja, das ist eine gute Idee.“ Ich brachte ihr Nachschub und sie sagte: „Hab ich Ihnen schon gesagt, dass Ihre Geschichten …“ – „Ja, danke.“

Plötzlich wurde sie ernst. „Frau Schmidt, was Sie da von den Fahnen in Amerika gesagt haben, das hat mir aber gar nicht gefallen. So können Sie das doch nicht sehen.“ – „Mach ich aber, ist wie im Osten hier.“ Jetzt fiel der Kulturattachistin ihre eigentliche Aufgabe ein. „Wissen Sie, das können Sie nicht vergleichen, die DDR und die USA.“ – „Also ehrlich gesagt, denk ich das schon die ganze Zeit. Ich wette, kein Amerikaner würde es merken, wenn um dieses Land eine Mauer gebaut würde. Ach, tut mir Leid, das haben sie ja schon, unten in Mexiko.“ – „Aber das ist doch was ganz anderes.“ – „Und Ihr Präsident, der ist ja nun nicht grade demokratisch gewählt worden.“ – „Frau Schmidt, wissen Sie denn überhaupt nichts über die amerikanische Geschichte?“

SARAH SCHMIDT