„Private picken sich die Rosinen heraus“

Vivantes einfach zu privatisieren ist keine Lösung, sagt Dieter Vesper vom DIW. Grund: Ein privates ist nicht besser als ein öffentliches Monopol. Dass Politiker kommunale Firmen wirksam kontrollieren, bezweifelt der Wirtschaftsforscher

taz: Herr Vesper, Vivantes hat einen Marktanteil von 30 Prozent. Ist der Konzern damit für die Daseinsfürsorge notwendig, oder könnte er auch an private Anbieter verkauft werden?

Dieter Vesper: Diese Frage ist kaum zu beantworten, da Kriterien fehlen, um genau zu bestimmen, was kommunale Daseinsfürsorge ist. Private Krankenhäuser müssen Gewinn bringend arbeiten. Dies birgt die Gefahr, dass bestimmte Orte nicht hinreichend versorgt oder bestimmte Dienstleistungen nicht angeboten werden, weil diese eben keinen Gewinn versprechen. Die Privaten würden sich Rosinen herauspicken.

Hält ein kommunaler Anbieter die Preise niedriger, weil er durch die öffentlichen Subventionen Dienstleistungen billiger anbieten kann?

Dies ist häufig der Fall, weil ja öffentliche Unternehmen in der Regel den Zweck haben, Leistungen anzubieten, die private nicht anbieten. Vielfach werden daran verteilungspolitische Ziele geknüpft mit der Folge, dass Subventionen fließen. Im Gesundheitswesen werden die Leistungen aber meist von den Kassen bezahlt, und deshalb unterscheiden sich die Preise nicht sehr.

Welche Nachteile hat ein kommunales Unternehmen wie Vivantes gegenüber einem privaten Unternehmen?

Kommunale Unternehmen sind nicht so stark den Gesetzen des Marktes unterworfen wie private. Das mag für die Geschäftsbilanz ein Nachteil, für die Patienten ein Vorteil sein. Das Grundproblem besteht darin, dass in öffentlichen Unternehmen – also in Krankenhäusern wie bei der Stadtreinigung – der Druck, die Kosten zu senken und effizient zu arbeiten, weniger ausgeprägt ist. Es fehlt der Wettbewerb, der zu Rationalisierungen zwingt. Verluste werden im Zweifel vom Landeshaushalt ausgeglichen.

Warum können kommunale Unternehmen nicht betriebswirtschaftlich handeln?

Kommunale Unternehmen gehören einer Gemeinde. Deren Politiker streiten über ihr Handeln. Kommunale Unternehmen sind Instrumente dieses Handelns, also werden sie Instrumente der politischen Auseinandersetzung. Dies gilt noch mehr in Zeiten wirtschaftlicher Not. Hier tut sich die Politik besonders schwer, wenn es wie bei Vivantes um 14.000 Arbeitsplätze geht – zumal die Beschäftigten ja auch alle Wähler sind. Betriebswirtschaftliche Entscheidungen werden deshalb oft von der Politik überlagert. Die zentrale Frage ist die der Verantwortung. Wer ist schuld, wenn etwas schief geht? Der Vorstand weist auf die Politiker. Aber nehmen diese ihre Kontrollfunktion auch wirksam wahr? Da habe ich meine Zweifel, nicht zuletzt seit der Pleite mit der Bankgesellschaft.

Vivantes ist eine GmbH. Macht dies den Konzern unabhängiger von der Kommune?

Vivantes wurde nur formell privatisiert, das heißt, das Unternehmen bekam eine private Rechtsform, die Anteile hält das Land. Also hat sich eigentlich nicht viel geändert. Das könnte nur eine materielle Privatisierung, also der Verkauf an einen Privaten.

Macht es Sinn, Vivantes materiell zu privatisieren?

Klar ist, dass Vivantes kostenorientierter arbeiten muss. Allein die Privatisierung bringt noch keine Zukunft. Die Vorteile einer Privatisierung werden nur wirksam, wenn sich Unternemen auf den Märkten dem Wettbewerb stellen müssen und Gewinne erwirtschaftet werden können. Das Gesundheitswesen weist generell nur wenige Wettbewerbsmerkmale auf. Generell gilt: Es ist kaum etwas gewonnen, wenn lediglich ein öffentliches durch ein privates Monopol ersetzt wird.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ