Ein Fall für die Wiederbelebung

Vivantes sollte die Krankenhauslandschaft modernisieren. Sollte. Inzwischen steht der landeseigene Konzern vor dem Kollaps. Kann ihn ein neues Sanierungskonzept retten – oder nur die Privatisierung?

VON ANNA LEHMANN

Poliklinik hießen in der DDR die Ärztehäuser, in denen alle Krankheiten vom Schnupfen bis zur Blinddarmentzündung behandelt wurden. Das Prinzip Poliklinik wird als „Integrative Basis-Versorgung in Wohnortnähe“ wieder belebt. So steht es im Strategiekonzept der Vivantes GmbH vom Dezember 2002.

Der Klinikkonzern, 2001 aus der Taufe gehoben, sollte die zehn städtischen Krankenhäuser zu modernen Gesundheitskomplexen umfunktionieren. Betreuungskosten sollten sinken, Patienten ambulant und stationär versorgt werden.

Bisher sind der ambulante und der stationäre Bereich streng getrennt – auf der einen Seite die Arztpraxen, auf der anderen die Krankenhäuser. Dieses System birgt Dopplungen, etwa Facharztstrukturen. Zum Umdenken zwingt auch das neue Gesundheitsgesetz. Das Geld fließt an die Krankenhäuser nicht mehr nach Anzahl der belegten Betten, sondern pro behandelte Krankheit. Diese Fallpauschalen sollen die Liegedauer verkürzen. Die Folge: Die Häuser bauen tausende Betten ab.

Auch Vivantes reduziert die Bettenzahl seit 2001 eifrig. In den drei Jahren seit der Gründung des Netzwerks Vivantes ist die Aufbruchsstimmung dort Untergangsrufen gewichen. Die nunmehr noch neun Krankenhäuser sind keinesfalls ein Netzwerk autonomer Wirtschaftseinheiten, in denen die Bezirke Mitspracherecht haben, sondern abhängige Beiboote eines Tankers, der ins Schlingern geraten ist.

Trotz Abbau von Betten und Personal machte Vivantes im vergangenen Jahr mehr als 29 Millionen Euro Verlust. Das Land Berlin als Alleineigentümer konnte die drohende Insolvenz nur abwenden, indem es im Januar in letzter Minute seine Kredite um 13 Millionen Euro auf 230 Millionen Euro aufstockte. Auch die Personalkosten des Konzerns liegen noch immer 20 Prozent über dem Berliner Durchschnitt.

„Eine Gemengelage struktureller und persönlicher Fehler ist die Ursache“, diagnostiziert die gesundheitspolitische Sprecherin der PDS, Ingeborg Simon. Geburtsfehler von Vivantes seien die Altschulden in Höhe von 190 Millionen Euro. Die Rechnung, diese teilweise durch Immobilienverkäufe zu tilgen, ging nicht auf. Die straffe Zentralisierung bringe nicht die gewünschten Synergieeffekte, sagt Simon weiter. Vivantes hatte etwa den gesamten Einkauf für den medizinischen Bedarf in die Hände der dafür gegründeten Tochterfirma ChronoMedic gelegt. Diese kam nicht so recht in Schwung, und so blieben die eingeplanten 9 Millionen Euro Gewinn aus. Ebenso wie 3,5 Millionen Euro, die aus Erlösen der anderen Tochterfirma Rehabilitation GmbH in das Unternehmen fließen sollten.

Die übereilte Zentralisierung sieht Simon als hausgemachtes Problem. Ihre Kollegin von den Grünen, Elfi Jantzen, wirft der Geschäftsleitung überstürzte Entscheidungen vor: „Hier wurde zu schnell zentralisiert, ohne dass die Belegschaft mitgenommen wurde.“

Geschäftsführer Wolfgang Schäfer gestand im Dezember Fehlentscheidungen ein und rang den 14.000 Angestellten einen einmaligen Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld ab.

Zu den Bürden von Vivantes zählen auch die im Berliner Vergleich hohen Personalkosten. Sie entstehen, weil die Belegschaft im Schnitt recht alt ist und nach Bundesangestellten-Tarif (BAT) bezahlt wird. Je länger dabei, desto höher das Gehalt.

Doch kaum eine Krankenschwester ist in Hochstimmung, wenn sie die höchste Tarifstufe erklommen hat und damit 2.300 Euro brutto im Monat verdient. Deshalb will die Gewerkschaft Ver.di einer zeitweisen Absenkung der Gehälter oder der Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld nur gegen den Verzicht auf weitere Kündigungen und Vorlage eines Sanierungskonzepts zustimmen. Die Geschäftsleitung will Letzteres bis Ende März öffentlich machen.

Am Freitag kam die Tarifkommission von Ver.di erstmals zusammen, um über einen so genannten Notlagetarifvertrag zu beraten. Mithilfe der Beschäftigten sollen laut Presseberichten weitere 34 Millionen Euro eingespart werden.

Die FDP hält den Zusammenbruch von Vivantes aufgrund der dünnen Eigenkapitaldecke für unausweichlich. „Es muss nur noch einmal etwas schief gehen, und sie stehen blank da“, warnt der FDP-Gesundheitsexperte, Martin Matz. Der FDPler würde dem Konzern am liebsten eine Privatisierungskur verordnen. Nach seinen Berechnungen müsste Berlin sonst 250 Millionen Euro extra aufwenden, um Vivantes anständig auszustatten.

„Ohne ein Angebot des Landes wird es nicht gehen“, sagt auch die PDS Gesundheitsfrau Simon. Sie hält nichts davon, den „Zentralnerv“ der Berliner Gesundheitsversorgung in private Hände zu legen. Gleiches gilt für eine Minderheitsbeteiligung, die die CDU vorschlägt. Stattdessen plädiert sie dafür, das ursprüngliche Konzept mit den notwendigen zeitlichen Korrekturen durchzusetzen.

Auch für die Grüne Jantzen ist Privatisierung kein Allheilmittel. Stattdessen fordert sie einen Schuldenerlass für Vivantes. Mit Zinsen summieren sich diese inzwischen auf 240 Millionen.