Frauen im Recht

In der Gesetzgebung gibt es heute kaum noch Regelungen, die eindeutig Männer privilegieren. Doch „neutrales“ Recht bedeutet noch keine Gleichstellung

Feministische Rechtspolitik richtet heute den Blick auf die Verantwortung aller

Recht ist männlich – davon ging feministische Rechtskritik und Rechtspolitik an ihren Anfängen aus. Also wurden im Gegenzug Frauenrechte gefordert. Im letzten Jahrhundert ging es um das Wahlrecht, um überhaupt Einfluss auf Rechtspolitik nehmen zu können, später auch um die Zulassung von Frauen zum juristischen Studium oder zum Richteramt.

Die Bundesrepublik begann dann mit der Gleichberechtigung in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes. Er wurde gegen den heftigen Widerstand von Juristen erkämpft, die ein Ehe- und Familienrecht unangetastet lassen wollten, das nur Männer als vollwertige Rechtssubjekte anerkannte. Daher musste im Westen das Bundesverfassungsgericht immer wieder den Gesetzgeber zwingen, die Gleichberechtigung auch im Privaten festzuschreiben. In der DDR wurde Gleichstellung in der Verfassung und im übrigen Recht eher verordnet; ein Gericht, das die Umsetzung dieses Rechts hätte erzwingen können, gab es nicht. In der sozialen Wirklichkeit blieb die Schere zwischen Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit weit offen.

Dies änderte sich langsam. Heute finden sich in der Rechtsordnung kaum noch Regeln, die eindeutig Männer privilegieren. Allerdings ist etwa die Belastung nur von Frauen mit den Kosten von Schwangerschaft und Geburt im Privatversicherungsrecht auch im Jahre 2003 noch diskriminierender Alltag. Jedoch sind Regeln, in denen zumindest ausdrücklich weder Männer noch Frauen vorkommen, die also neutral wirken, heute viel häufiger anzutreffen. Doch neutrales Recht bedeutet nicht unbedingt die Verwirklichung von Gleichberechtigung.

Der Europäische Gerichtshof hat schon vor Jahren erkannt, dass neutrale Regeln häufig nachteilige Wirkungen haben, wenn sie auf eine ungleiche soziale Wirklichkeit treffen. Handelt das Recht von „Teilzeitarbeit“, und arbeiten bis heute weit mehr Frauen in Teilzeitjobs als Männer, dann trifft dieses „neutrale“ Recht doch in erster Linie ein Geschlecht, nämlich Frauen. Initiativen wie der feministische Juristinnentag, der gerade zum 29. Mal in Berlin stattfindet, die feministische Rechtszeitschrift Streit oder auch der Deutsche Juristinnenbund haben neben einzelnen Engagierten in Ministerien, Parteien und Hochschulen dafür gesorgt, dass heute vielen bekannt ist, wo sich im Recht Diskriminierung verbirgt. Viele wissen, dass Teilzeitarbeit Frauenarbeit ist und dass die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ letztlich eine Herausforderung an Frauen darstellt, solange sie die Familienarbeit machen müssen. Man könnte meinen, die Gleichstellungsfragen lägen auf dem Tisch, sie müssten nur ordentlich bearbeitet werden (im Arbeitsrecht, im Familienrecht oder durch Subventionen). Doch das reicht nicht.

Die feministische Rechtspolitik hat einen weiteren Schritt gemacht, um das Verhältnis zwischen Recht und Geschlecht in Angriff zu nehmen. Der Schritt heißt Gender Mainstreaming (GM). Einige kritisieren zwar, das sei ein altes Konzept in neuer Verpackung. Andere wehren sich gegen GM mit dem Argument, die Neutralität des Rechts sei erreicht, jetzt stehe alles zum Besten.

Die Herausforderung liegt aber darin, differenziert zu fragen, was Geschlecht im Recht genau bedeutet. Von der These, das Recht sei männlich, sind wir zu der Frage nach „Gender“ im Recht gekommen. Gender ist eine komplexere Angelegenheit als die Frage nach Mann oder Frau. Das Ziel von GM – nämlich Gleichstellung – ist nicht neu. Neu ist der Weg, es zu erreichen.

Im GM konzentriert sich die Frage nach Gender nicht nur auf weibliche und männliche Stereotype. Der erste Schritt war es, Teilzeit als Frauenarbeit zu entlarven. Mit GM geht es darum, Arbeit zu hinterfragen. Heute geht es also nicht mehr nur darum, „Teilzeit“ als Frauenarbeit zu entdecken, sondern auch darum, „Arbeit“ als Erwerbsarbeit und als Reproduktionsarbeit anzuerkennen, die anhand von Kriterien bewertet wird, die nicht neutral sind, sondern sozial-, kultur- und geschlechtsspezifisch. Arbeitsrecht müsste dann Abschied nehmen vom „männlichen Normalarbeitnehmer“ und sich Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit zuwenden. Das bedeutet, Lohnbemessungskriterien ebenso zu verändern wie Arbeitszeitregelungen. Auch Subventionen und Sozialleistungen wären dann zu überdenken.

Die Gender-Frage im Recht bringt weit mehr als nur die Erkenntnis, dass finanzielle Zuwendungen heute eher Männern zugute kommen. In der Streit findet sich die These, dass die Struktur von arbeitsgerichtlichen Verfahren besser auf die Bedürfnisse von Männern passe. Frauen seien eher bereit, Dinge auszuhandeln und suchten weniger den formalen Streit vor Gericht. Auch „neutrale“ Prozessregelungen müssen also auf ihre Gender-Gehalte hin überprüft werden. Unbeantwortet ist etwa die Frage, ob sich die gesetzlich festgelegten Honorarsätze für anwaltliche Leistungen nicht heimlich an Kriterien orientieren, die mehr mit „Männersachen“ und „Frauenfragen“ zu tun haben als mit Aufwand und Kosten. Wenn das Justizministerium „mainstreamt“, wird es sich diese Frage stellen müssen.

Da Politik heute an irgendeiner Stelle meist auch Rechtspolitik ist, folgt aus GM, dass die Gender-Frage in der gesamten Rechtsordnung gestellt werden muss. Wenn die Röntgenschutzverordnung novelliert wird, interessieren nicht nur neutrale Grenzwerte für Beschäftigte in Krankenhäusern, sondern auch die unterschiedlichen Strahlenbelastungswirkungen auf Frauen und Männer. Und wenn die nächste Steuerreform kommt, sollte jede Gesetzesfolgenabschätzung auch einbeziehen, dass sich Gesetze auf unterschiedliche Frauen und Männer auch unterschiedlich auswirken. Neben dem diskriminierenden Ehegattensplitting sind auf diesem Feld wohl noch einige Defizite zu beheben.

Die Herausforderung liegt darin, zu fragen, was Geschlecht im Recht genau bedeutet

Feministische Rechtspolitik richtet also heute mit Gender Mainstreaming den Blick auf die Verantwortung aller, und auf „Gender“ in all seiner Komplexität. „Gender“ fordert, sich von alten Schemata zu verabschieden, also nicht nur an „die“ Frauen und „die“ Männer zu denken, sondern an Menschen in ihrer Vielfalt, die auch als Frauen und als Männer leben, aber auch als Familienmensch oder als Single, als Migrant oder bisexuell, nicht behindert oder orthodox gläubig.

Diese Aufmerksamkeit wird auch als „Diversity“ oder als „Diversity Management“ bezeichnet. Bestenfalls lenkt das die Aufmerksamkeit auf zahlreiche Diskriminierungsfaktoren (und nicht nur auf Geschlecht); schlimmstenfalls wird aber auch so lange verwässert, dass neben rhetorischer Aufmerksamkeit für Unterschiede nichts bleibt. Wie Diversity bietet Gender Mainstreaming also nur dann einen Erfolg versprechenden Ansatz für Rechtspolitik, wenn es nicht funktionalisiert, sondern ernsthaft betrieben wird. Wo also steht feministische Rechtspolitik heute? Vor einer großen, komplexen Herausforderung an alle, die sich mit Recht befassen.

SUSANNE BAER