Eine blaue Vendetta mit Vorsicht

Die Nea Dimokratia steht nach ihrem Sieg über die Pasok vor einem Dilemma: Ihre Anhänger wollen Posten, ihre Führer versprachen den schlanken Staat

AUS ATHEN NIELS KADRITZKE

Der Sieger heißt Kostas Karamanlis, die Verliererin heißt Dimitra. Dimitra lebt in Dortmund und ist einer der vielen Wählerinnen, die von der Pasok ein Flugticket bekommen haben, damit sie am 7. März ihre Heimatpartei unterstützen können. Nachdem sie – mangels Briefwahlrecht – in ihrem Heimatort in Lesbos die Partei mit dem grünen Logo angekreuzt hat, weiß sie nicht, wer ihr den Rückflug bezahlt. Die Dortmunder Pasok hat ihr versprochen, man werde ihr in Athen oder Lesbos das Geld erstatten, das sie für das Ticket vorgeschossen hat. Aber sie hat schon bei 15 Parteistellen angerufen, ohne dass sich jemand zu der Verpflichtung bekannt hätte.

Die Pasok hat seit gestern andere Sorgen. Der Grund heißt Kostas Karamanlis. Der Vorsitzende der konservativen Volkspartei Nea Dimokratia (ND) ist der nächste griechische Ministerpräsident. Die ND hat am Sonntag 45,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Das bedeutet einen unerwartet großen Vorsprung von fast 5 Prozent vor der bisherigen Regierungspartei Pasok (40,6 Prozent). Das Ergebnis übersetzt sich in eine bequeme absolute Mehrheit im Parlament. Das von der Pasok eingeführte Wahlrecht verschafft der stärksten Partei einen fetten Bonus, damit wird die neue Regierung über 165 von 300 Sitzen verfügen. Die Pasok kommt auf 117 Sitze und verfehlt damit sogar ihr Minimalziel von 120 Sitzen. Die hätte sie gebraucht, um bei der Wahl des Staatspräsidenten im nächsten Jahr ein Wort mitzureden. Ansonsten sind im Parlament nur noch zwei Linksparteien vertreten: 12 Sitze hat die KKE, ein kommunistischer Traditionsverein, der seit Jahrzehnten zwischen 5 und 6 Prozent gewinnt, und knapp die Dreiprozenthürde überwunden hat der sozialistische Synaspismos („Zusammenschluss“), was ihm 6 Sitze bringt.

Das griechische Wahlrecht hat für einen klaren Wechsel gesorgt, der von den Wählerbewegung her weniger eindeutig ist. Die Pasok verlor gegenüber 2000 etwas über 3 Prozent, die ND legte etwa 2,5 Prozent zu. Aber der Trend erstreckt sich so gleichmäßig über ganz Griechenland, dass er einem allgemeinen Umschwung gleichkommt. Auf der politischen Landkarte sind nur noch Kreta, die Dodekanes-Inseln im Südosten und die Region um Patras grün gefärbt. Der Rest ist blau wie das Logo der Nea Dimokratia und die griechische Flagge.

Die Straße vor dem ND-Hauptquartier war schon seit den exit polls ab 19 Uhr ein blaues Fahnenmeer. „Ganz Griechenland ist blau“, riefen die Anhänger, die den Triumphator sehen wollten. Als Karamanlis gegen Mitternacht vor den Kameras zur Nation sprach, saß er vor einem blitzblauen Hintergrund. Seine erste Erklärung war staatsmännisch an die ganze Nation gerichtet: Es gebe keine Sieger und Besiegten. Er lade alle ein, für ein neues, besseres Griechenland zu arbeiten, schon ab morgen.

Der neue Regierungschef hat zwei zwingende Gründe, mehr als nur friedliche Koexistenz mit dem grünen Lager anzustreben. Schon in zwei Wochen stehen wichtige Entscheidungen in der Zypernfrage an. Am 22. März beginnt in Nikosia die Verhandlungsrunde, in der Ankara und Athen aufgefordert sind, die blockierte Situation aufzulösen. Das könnte auch politischen Druck auf die griechischen Zyprioten erforderlich machen, was beim nationalistischen Flügel der ND auf Widerstand stoßen könnte. Pasok-Chef Papandreou, als Ex-Außenminister der Architekt auch der griechischen Zypernpolitik, hat ebenfalls eine harmonische Zusammenarbeit in dieser wichtigsten außenpolitischen Frage angemahnt.

Zweitens gilt es, die Olympischen Spiele mit Anstand zu bewältigen. Auch hier ist Kontinuität und Zusammenarbeit angesagt. Das verbietet auch eine allzu brutale Säuberung in den Komitees und Ministerien, die für die Spiele organisatorisch verantwortlich sind.

An diesem Punkt zeigt sich das größte Dilemma für die neue Regierung. Karamanlis will keine „Nacht der langen Messer“. Er will die personelle Wachablösung im öffentlichen Dienst eher Schritt für Schritt statt in der traditionellen Form einer Vendetta. Wie man aus ND-Kreisen hört, wollte der Chef noch drei Tage vor den Wahlen einen Mitarbeiter aus der Partei werfen, der öffentlich angekündigt hatte, man werde mindestens 10.000 Pasokisten aus dem öffentlichen Dienst hinaussäubern. Das aber würde nicht nur nach der revanchistischen „Beutementalität“ aussehen, die man dem grünen Lager immer unterstellt hat. Es ist auch unvereinbar mit dem Programm eines „schlankeren, effektiveren Staates im Dienste der Bürger“, mit dem Karamanlis die von der Pasok enttäuschten Wechselwähler zu sich herübergezogen hat.

Hier wird der Grundwiderspruch sichtbar, den die neue Regierung in den nächsten Wochen aushalten und austragen muss. Die Hardcore-Anhänger mit ihren blauen Mützen vor dem ND-Hauptquartier diskutieren in der Stunde des Wahlsiegs, in welcher Nische des Staatsdiensts sie „ihre Kinder“ unterbringen wollen. Und man kann sie verstehen, denn sie können zusehen, wie sich vor ihnen im vollen Scheinwerferlicht der Fernsehteams die höheren Funktionäre gegenseitig um den Hals fallen, weil für sie die Ernte eingefahren ist.

Den Widerspruch haben beide Parteien auszuhalten. Einerseits haben sie den umworbenen Wechselwählern eingeredet, jetzt mache man Schluss mit dem Klientelismus, den das andere Lager natürlich weiter betreiben werde. Auch deshalb war für die ND – nach Aussagen ihres Wahlkampfleiters – ein neuer Korruptionsskandal der alten Regierung vier Wochen vor den Wahlen ein Geschenk des Himmels.

Andererseits haben beide Parteien ihre Anhänger mit klientelistischen Versprechungen umworben: Die Pasok schürte die Ängste der Grünen vor der blauen Vendetta, während die kleinen ND-Funktionäre von 10.000 zu säubernden Posten schwadronierten. Der gesellschaftliche Wandel, der diesen Widerspruch überwindet, wird sich noch über einige Wahlen hinziehen.

Im Griechenland von heute gibt es dagegen immer noch Sieger und Besiegte. Fest steht jedenfalls, dass zur Wahl eingeflogenen ND-Anhänger ihre Rückflug nicht selbst bezahlen müssen. Die Pasok-Wählerin Dimitra aus Lesbos hingegen wird sich vergeblich mühen, die Kosten für ihre Rückreise nach Dortmund einzutreiben.