Allein unter Schröder-Freunden

Es rumort im „Café sociale“: Der Kreuzberger Mark Rackles ist unter den zwölf SPD-Kreisvorsitzenden der einzige Rebell gegen Bundeskanzlers Gerhard Schröders Agenda 2010. „Für die Basis ist das die einzige Chance“, meint der Kämpfer und Unterschriftensammler gegen den Kurs des Sozialabbaus

von STEFAN ALBERTI

Mark Rackles ist mit über einsneunzig ohnehin eine herausragende Erscheinung in der Berliner SPD. Das ist nicht immer gut im Politbetrieb. Dort läuft einer schnell Gefahr, eins draufzubekommen, wenn er zu sehr den Kopf hervorstreckt.

Nun ist Rackles, Kreisvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg, nicht nur wegen seiner Größe auffällig. Er ist im Landesvorstand der exponierteste Kritiker von Gerhard Schröders Agenda 2010. Elf der zwölf Berliner SPD-Kreischefs unterschrieben eine Pro-Agenda-Erklärung – Rackles nicht. Zudem ist er der höchstrangige Parteifunktionär, der das Mitgliederbegehren gegen das Reformpaket stützt.

„So was kann einen in der Partei ganz schnell einsam machen“, sagt Rackles bei einem Treffen in Friedrichshain. 36 ist er, seit 14 Jahren in der SPD. Ein paar Tage habe er sich nach der Erklärung seiner Chefkollegen ziemlich allein gefühlt. Dabei sind für ihn die Fronten weniger klar, als sie scheinen. Er lehne die von Schröder angestrebten Reformen schließlich nicht durchweg ab, aber eben in einem stärkeren Grade als andere. „Keiner von den Kreisvorsitzenden, die ich kenne, sagt, dass das Ding komplett in Ordnung ist.“

Ein Treffen am vergangenen Montag hat Rackles etwas weniger einsam gemacht. Ins Abgeordnetenhaus hatte er die Berliner SPD-Linke geladen, die er auch im Landesvorstand organisiert. Über 100 kamen. 100 von 19.000 Parteimitgliedern im Land, „Aber das war die zweite und dritte Führungsebene“, sagt Rackles. Sie stellten sich hinter einen Initiativantrag zur Agenda, der beim Landesparteitag am 17. Mai abgestimmt werden soll. Veränderungen in acht Punkten verlangt das Papier der „Neuen Vereinigten Linken“, darunter Wiedereinführung der Vermögenssteuer und ein klares Nein zu Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau.

Ziemlich einsam bleibt Rackles weiter beim Mitgliederbegehren. Das stützt er nicht nur als einziger Kreischef. Er hat auch dafür gesorgt, dass das Friedrichshainer SPD-Kreisbüro in der Revaler Straße Anlaufstelle für Unterschriften wurde. Von 2.000 bis 3.000 Unterstützern bis Sammelschluss Mitte Juli allein in Berlin ging Rackles vor drei Wochen aus. „Über Ostern ist es eher mau gelaufen“, räumt er ein. 200 bis 240 Unterschriften seien es vielleicht derzeit. „Aber jetzt, mit der verhärteten Diskussion auf Bundesebene, kommen deutlich mehr hinzu.“

Für Rackles ist das Begehren nur Mittel zum Zweck, um bis zum Parteitag Druck auf Schröder zu machen. „Für die Basis ist das die einzige Chance.“ Nach dem Parteitag liege es an den Initiatoren, wie es weitergehe. SPD-Bundestagsabgeordnete wie Klaus-Uwe Benneter aus Zehlendorf oder Swen Schulz aus Spandau lehnen das Begehren als falschen Weg ab: Ein Reformpaket sei zu komplex, um darüber mit Ja oder Nein abzustimmen. Für Rackles zieht dieses Argument nicht: „Genau solch ein simples Ja fordert doch Schröder, wenn er den Sonderparteitag mit der Aussage verknüpft, an der Agenda sei nicht zu rütteln.“

Mark Rackles ist einer der wenigen SPD-Kreisvorsitzenden, die nicht gleichzeitig Abgeordnete oder Stadtrat sind. Er würde auch als Parlamentarier nicht leiser und unkritischer agieren, sagt Rackles. Und räumt gleichzeitig ein, dass Abgeordnete unter größerem Druck stehen. Er selbst arbeitet im Europa-Referat der Senatskanzlei. Es gebe wegen seiner kritischen Haltung Kommentare und Bemerkungen, „aber nicht aus dem Roten Rathaus.“

In seinem Stadtbezirk sieht sich Rackles in einer besonderen Situation. „Ich habe hier Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger in der dritten Generation.“ Denen müsse er erklären, warum sich die SPD vor der Wahl noch ganz anders äußerte. Rackles nippt am Milchkaffee in dem Friedrichshainer Café, das vor dem nahen SPD-Landesparteitag sinnbildlich geworden ist. Sinnbildlich für den Streit um den dort anstehenden Leitantrag, der schon vor dem Gezerre um die Agenda 2010 begann. Das „Café sociale“ am Comeniusplatz gab dem meistbeachten Gegenpapier den Namen. Rackles’ Kreisverband hat es in Gänze übernommen. Seit über zwei Monaten streitet die Landes-SPD um die Vorschläge des Leitantrags, der von einer zu hohen Staatsquote sprach und dem Verkauf von BVG und BSR Tür und Tor öffnete.

„Café sociale“ und weitere Papiere haben zu einem Kompromiss geführt, mit drei Streitpunkten, zu denen es beim Parteitag Kampfabstimmungen gibt. „Was jetzt vorliegt, hätten wir auch schon von vornherein haben können“, sagt Rackles. „Dann wäre viel Porzellan heile geblieben.“ Von Landeschef Peter Strieder, Mitglied seines Kreisverbands, hätte er sich dazu ein klares Wort erwartet. Das aber kam nicht.