Nachhaltige Erfahrungen

Aus der Sattelperspektive sieht man mehr. Und wer seine Sichtweise gemeinsam mit anderen verändern möchte, sollte sich auf einen Fahrrad-Bildungsurlaub begeben – für Muskeln und Kopf

von HELMUT DACHALE

Seit Anfang der Neunzigerjahre gehen die Teilnehmerzahlen der Bildungsurlaube zurück. Viele Arbeitnehmer „haben zunehmend Angst, ihre Rechte wahrzunehmen“, so Hermann Strahl von der Heinrich-Böll-Stiftung NRW. Doch gerade die Spezialität, die seine Bildungseinrichtung seit zehn Jahren anbietet, erfreut sich wachsender Beliebtheit: der Fahrrad-Bildungsurlaub.

Fünf Veranstaltungen dieser Art stehen auch dieses Jahr wieder auf dem Programm. Bildungsurlaub ist bezahlte Freistellung zum Zwecke der Weiterbildung, so wollen es die entsprechenden Ländergesetze. Was also lernt der Arbeitnehmer in den velophilen Seminaren der Heinrich-Böll-Stiftung? Wie er mit dem Rad pünktlich zur Arbeit kommt?

Etwas anspruchsvoller darf’s schon sein. Schließlich fordern die meisten Länder: Der Bildungsurlaub muss nicht nur der beruflichen, sondern auch der politischen Bildung dienen. In Brandenburg zusätzlich der kulturellen. Und so ist das Velo bei Heinrich Böll zuerst einmal das Vehikel zum Kennenlernen von ökologischen oder historischen Projekten.

Es dient dazu, Veränderungen wahrzunehmen, Entwicklungsprozesse zu begreifen. Indem man sich etwa auf die „Spuren der Bonner Republik“ begibt und mit Besichtungen und in Gesprächen feststellt, dass der ehemalige Regierungssitz von seiner Geschichte allein nicht leben kann. Oder man in Aachen „Erfahrungen mit Zukunftsenergien“ macht. Sich die ökologische Modellstadt im wörtlichen Sinne erfährt.

Die längste Tour der nordrhein-westfälischen Heinrich Böll Stiftung erschließt einen ganz anderen Teil Deutschlands: „GrenzGänge IX“ beginnt in Helmstedt, führt mit Bahn und Bike nach Brandenburg und Berlin und endet mit Exkursionen in der Region des alten und neuen Grenzflusses Oder. „Wir wollen Grenzen an-, ab- und überfahren“, so die Veranstalter, und dabei vor allem „Erkundungen zusammen mit Menschen vor Ort“ unternehmen. So sind in Berlin beispielsweise Diskussionen mit Zeitzeugen aus der DDR-Opposition eingeplant. Eine mehrtägige Tour, die auch schon von vielen Schulklassen gebucht worden ist. Als Bildungsurlaub findet sie in diesem Jahr vom 29. August bis zum 7. September statt. Ein „wunderbarer politisch-pädagogischer Weg“, der zu „nachhaltigen Verhaltensänderungen“ führe, meint Hermann Strahl. Offensichtlich auch in Sachen Mobilität: 30 Prozent der bisherigen Teilnehmer gaben an, noch nie einen Radurlaub gemacht zu haben – aber alle wollten in Zukunft häufiger Rad fahren. Wenigstens an den Wochenenden. Vielleicht auch auf dem Weg zur Arbeit.

Fahrradbildungsurlaube – Informationen und Anmeldungen: Heinrich-Böll-Stiftung NRW, Huckarder Straße 12, 44147 Dortmund,Tel. (02 31) 91 44 04-0,info@boell-nrw.de, www.boell-nrw.de