Was genau war West-Berlin?

Berlin vor dem Mauerfall – Insel oder Enklave? Diese Frage warf die „Zeitschrift für Ideengeschichte“ mit Gert Mattenklott und Karl Schlögel im Literaturhaus auf und stellte ihre neue Ausgabe „Die Insel West-Berlin“ vor

Trotz einer Konkurrenzveranstaltung im ehrwürdigen Literaturhaus Berlin, schienen all jene, die das Haus betraten, zur Veranstaltung „Die Insel West-Berlin“ zu wollen.

Hier stellten die Herausgeber Wolfert von Rhaden und Stephan Schlak gemeinsam mit ihren Gästen, dem Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott und dem Osteuropa-Historiker Karl Schlögel, die gleichnamige Ausgabe der seit Februar 2007 vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift für Ideengeschichte vor.

Neben dem obligaten Essayteil des Bandes finden sich im Thementeil Texte zu einem historisch intellektuellen Ort „West-Berlin“, dessen Dichte, zumal für eine abgeschlossene Miniaturgesellschaft, überrascht. Explizit geht es um die „alternative linke Theorie-Insel“, die als Umschlagplatz der neuesten (post)strukturalistischen Denkansätze gegolten habe.

Ein Beitrag über den Merve Verlag zeigt anschaulich die Verschiebung der intellektuellen Debatte von klassischer Theorie hin zu Pop. Ungeahnte Denkmodelle, Entgrenzung der Theorie und die mikropolitische Emphase wirbelten die Westberliner Szene durcheinander. Man begreift, was dieser vielschichtige Aufbruch im Kleinen bewirkte und was er heute noch bewirken könnte – obgleich die Inselperspektive eine Auseinandersetzung mit Inhalten versperrte. Nicht anders hob auch die Präsentation des Heftes an.

Was sich anfangs wie ein Ehemaligentreffen ausnahm – die älteren Herren lächelten und nickten –, offenbarte sehr bald grundverschiedene Ansichten. Während Mattenklott seinen Heftbeitrag vortrug, der vom gescheiterten Versuch der Überwindung der Westberliner Enge durch die Gründung einer europäischen Uni im französischen Dorf berichtet, hatte Schlögel, anderweitig beschäftigt, keinen Text beisteuern können. Warum er trotzdem auf dem Podium saß, wurde sehr schnell deutlich. Bereits im ersten Satz sah sich Schlögel genötigt, die seiner Meinung nach intendierte Arbeitsteilung „Mattenklott: Westen und Schlögel: Osten“ zurückzuweisen.

Während Mattenklott den Enklavencharakter West-Berlins in einer Abgeschlossenheit nach außen sah, beklagte Schlögel die „Verhocktheit“ des hiesigen intellektuellen Milieus. Er selber habe auf die Abwicklung des Zustandes West-Berlin gehofft und der Stadt bereits 1974 den Rücken gekehrt, wie viele andere Denker in der Zeit auch. Vehement wandte er sich gegen eine Mythologisierung linker Stadtgeschichte frei nach dem Motto „Was wir alles Tolles und Schönes gemacht haben“.

Und tatsächlich entstand der Eindruck eines allzu gefälligen Plaudertons unter den ausschließlich männlichen Protagonisten. Nimmt man Mattenklotts Text ernst, offenbart er sehr wohl die Provinzialität der West-Berliner Szene, handelt er doch vom missglückten Versuch, den eigenen Raum zu überschreiten. Die Betonung, West-Berlin sei „immer die einzige deutsche Großstadt gewesen“, konnte darüber nicht hinwegtäuschen.

Schlaks Vermittlungsversuch mithilfe theoretischer Ansätze wiegelte Schlögel ab: „Für mich war Merve nicht wichtig.“

Gegen Ende der Veranstaltung erhärtete sich der Verdacht, „West-Berlin“ sei doch mehr Enklave als Insel gewesen.

Auch in der Zeitschrift für Ideengeschichte klingen einige konkurrierende Insel-Geschichten an. Andreas Hiepkos Beitrag zum Beispiel zitiert John F. Kennedy, der, 1963 zu Besuch in der Stadt, den Zustand des Westteils an die nicht allzu ruhmreiche Rolle als subventionierte Frontstadt band: „You live in a defended island of freedom, but your life is part of the main.“

So war es auch wenig überraschend, dass das Publikum zu guter Letzt einforderte, man solle ruhig sagen, dass mit der Rede von der „Insel West-Berlin“ doch eigentlich und ausschließlich das mobile intellektuelle Milieu gemeint gewesen sei.

SONJA VOGEL