BERLINER PLATTEN
: Immer bereit für den Distinktionsgewinn: Warren Suicide versuchen es mit als Kunst getarnter Popmusik und Knorkator kannten dafür den Klamauk

Ungefähr vorletztens begab sich ein mittel erfolgreicher Plattenfirmen-Scout zu Bette. Sein Arbeitgeber begegnete der aktuellen Absatzkrise in der Musikindustrie momentan mit dem Outsourcen ganzer Unternehmensbereiche, und die Nachtruhe unseres Talentsuchers war entsprechend unstet. Doch irgendwo zwischen Wachen und Schlafen erträumte er sich das perfekte Objekt für einen neuen Hype: Eine Rockband, aber mit elektronischen Elementen, natürlich aus Berlin und dem Künstlermilieu, gern auch multinational, unbedingt mit eingängigen Refrains und ein paar provokativen Aussagen, knalligen Beats und knorrigen Gitarren, denn das muss im Konzertsaal ebenso funktionieren wie auf dem Tanzboden.

Schweißgebadet wachte der Talentscout auf und musste feststellen, dass es Warren Suicide schon gab. Als Idee einiger Künstler, die in der deutschen Hauptstadt gestrandet waren, stand am Anfang nur eine Zeichnung und die Textzeile: „Hello, Hello, my name is Warren Suicide.“ Mehr braucht es heutzutage eben nicht: Entsprechend ungelenk aber hört sich „Requiem For A Missing Link“ bisweilen an. Dieses zweite Album ist zwar entschieden musikalischer geraten als das Debüt von 2006, aber dessen Naivität hat sich das Duo bewahrt: Piepsige Keyboards und bratzige Gitarren, ein paar seltsame Geräusche und gerne auch mal ein nervtötender Klingelton verzieren die nahezu durchgehend hittauglichen Songs von Cherie und Nackt. Die Atonalität aber hält sich in konsumierbaren Grenzen, die avantgardistischen Anflüge sorgen vor allem für soliden Distinktionsgewinn, selbst wenn in einer sympathischen postmodernen Beliebigkeit ein Song gar in gemächlichem Orgelgedöns absäuft: „Good Morning Lord“ ist ein galliger Gospel, ein bösartiges Kirchenlied, aber schon der Gipfel der Provokation. Vornehmlich hat man es hier mit Popmusik zu tun, wenn auch mit als Kunst getarnter Popmusik.

Bei Knorkator wiederum hatte man es all die Jahre mit als Klamauk getarnter Kunst zu tun. Wie sollte man es sonst verstehen, sein Publikum mit geschreddertem Gemüse oder Ersatzscheiße zu beschießen, Sakrales mit schweren Gitarren zu spielen und Fäkales mit Kopfstimme zu singen. So erfolgreich war diese Comedy, dass zum einen die Kritiker nie die konzeptionelle Größe der Band verstehen wollten, andererseits aber das Publikum sich kaum von den künstlerischen Anwandlungen abhalten ließ. Aber nun, nach fast 15 Jahren und auf dem Höhepunkt des Ruhms, löst man sich auf, obwohl Mastermind Alf Ator nun doch nicht mehr nach Thailand auswandern will.

Den Anhängern hinterlässt man eine letzte DVD „Weg nach unten“ mit viel Live-Musik, einigen Interviews und einem einzigen neuen Song, in dem sie die eigenen Kinder mit sich abrechnen lassen: „Unsere Väter haben’s nie zu was gebracht“. Das heutige Abschiedskonzert in der Columbiahalle aber beweist, dass das nicht stimmt, denn es ist natürlich längst ausverkauft. Ab morgen sind Knorkator dann Geschichte und stehen unserem Talentscout exklusiv für neue Albträume zur Verfügung. THOMAS WINKLER

Warren Suicide: „Requiem For A Missing Link“ (Shitkatapult) live heute Volksbühne, 21 Uhr. 20 €

Knorkator: „Weg nach unten“ (Soulfood)