„Das ist Zwergenstaat“

Die zurückgetretene Sprecherin der Kulturinitiative Anstoß, Katrin Rabus, über Entsolidarisierung, Bremer Leseschwächen und mangelnde Transparenz – „der Knacks kam mit der Kulturhauptstadt“

Katrin Rabus war eine der erfolgreichsten Bremer Galeristinnen, jetzt ist die langjährige Rundfunkrätin verstärkt im Bereich Neue Musik und Musikfilm aktiv. Mit der Schaltung von 50 Anzeigen gegen die vertragswidrige Kürzung des Bremer Theaters war sie 1996 Gründerin der Kulturinitiative Anstoß, deren Sprecherin sie bis Ende vergangenen Jahres war.

taz: Seit Ihrem Anstoß-Rücktritt scheint das Wort Kulturhauptstadt ein rotes Tuch für Sie zu sein. Warum?

Katrin Rabus: Das war vorher schon so – seit dieser unsäglichen Veranstaltung im Rathaus [der offizielle Bewerbungsauftakt im Januar 2003], bei der Vertreter der Kultur bewusst nicht zu Wort gebeten wurden. Die jetzt geplante „Kulturhauptstadt“ steht über das Stadtmarketing im Dienst der Stadtsanierung – und den Blick nur auf die Stadt zu richten, ist erbärmlich. Leider gibt es in Bremen eine große Leseschwäche: Kaum jemand hat die entsprechenden Konzeptpapiere wirklich zur Kenntnis genommen, obwohl dort entscheidende Paradigmenwechsel formuliert sind.

Dass sich das Land explizit für Kultur als Sanierungsmotor entscheidet, ist doch eigentlich beachtlich.

Die Kultur bleibt dabei auf der Strecke. Die jetzt entstehende Bewerbung hat singende Tiere, aber keine Menschen – nicht ein einziger Künstler wird genannt, internationale Beziehungen kommen nicht vor: Das ist wirklich Zwergenstaat. Ein Problem ist die mangelnde Fachlichkeit im Kulturhauptstadtbüro, das ohne Beirat arbeitet. Dass etwa das Projekt „Niemand ist eine Insel“ als non plus ultra der Avantgarde ausgegeben wird, zeigt ganz offensichtlich, dass man dort nicht über Qualitätskriterien verfügt. Es gibt auch keinerlei produktive Vorgaben, an denen man sich orientieren könnte. Und somit auch keine Anregung, auf etwas zu kommen, was man nicht sowieso schon angedacht hätte. Drittens beklage ich die mangelnde Transparenz der Entscheidungen. Das Projektteam hat den bisher in Bremen üblichen Kommunikationsprozess zum Erliegen gebracht, in dem es die Einrichtungen zu Einzelgesprächen zu sich geholt hat. Jetzt passiert alles im Hinterzimmer.

Derzeit finden zum Beispiel die Treffen der einzelnen Sparten statt.

Die kommen aber zu spät und haben eher Alibi-Charakter.

Der Bremer Kulturhaushalt war immer durch weitgehende Festlegung aller Mittel gestalterisch blockiert. Über den Kulturhauptstadt-Fonds wird es jetzt erhebliche Projektmittel geben – immerhin 8,5 Millionen Euro. Ist das kein Schritt in die richtige Richtung?

Nein. Wer verfügt denn über dieses Geld? Das sind Umschichtungen, die nicht öffentlich diskutiert werden.

Das entspricht aber dem Intendantenprinzip. Und Martin Heller sagt folgerichtig: „Kulturhauptstadt ist ungerecht.“

Herr Heller spricht auch von „Brutstätten“ und „Besessenen“ – diese Anlehnung an den bürgerlichen Geniekult ist tiefstes 19. Jahrhundert. Die Projektmittel bergen die enorme Gefahr, dass man alles auf sie zuschneidet. Insofern dienen sie eher der Disziplinierung als der Bereicherung der Kulturszene.

Man könnte auch sagen: Wer sich auf einen Prozess mit Ziel Kulturhauptstadt einlässt, muss bereit sein zur Veränderung. Denken Sie zu strukturkonservativ?

Im Gegenteil: Ich hätte mir mehr Veränderung erwartet – dadurch, dass Herr Heller den Finger in die Wunden legt, also die ganz offensichtlichen Defizite der Stadt benennt. Die Bremer Universität zum Beispiel hat sich nie für die Kultur interessiert, geschweige denn eingesetzt. Also wäre es erforderlich, die institutionellen Gräben zu benennen und Brücken zu bauen. Statt dessen ist die Wissenschaft zum zentralen Bestandteil der Bewerbung gemacht worden, die Kultur sitzt nur als arme Schwester mit im Boot. Bezeichnenderweise ist dabei das wichtige Thema der kulturellen Bildung, der Zugänglichkeit von Kultur, über Bord gegangen. Die entsprechenden Leute haben alle resigniert.

Anstoß meldet sich kaum noch öffentlich zu Wort, obwohl erstmals seit langer Zeit die Schließung von Einrichtungen auf der Tagesordnung steht. Entsolidarisiert sich die Bremer Kulturszene?

Ja. Der Knacks kam mit der Kulturhauptstadt, aber es liegt auch an der zunehmenden finanziellen Knebelung. Kultursenator Perschau sagt zu den Einrichtungen: Wenn Sie ruhig sind, kriegen Sie Gelder. Diese Disziplinierung funktioniert. So bricht die Zivilgesellschaft auseinander, das Miteinander von Groß und Klein ist ausgetrocknet. Anstoß stand dafür, für die ganze Stadt etwas zu bewegen.

Bei den kulturpolitischen Neujahrsempfängen in Ihrer Galerie, wegen deren Relevanz Freund und Feind wohl oder übel erscheinen musste, konnte man Sie als eine Art Schatten-Kultursenatorin agieren sehen – das ist jetzt vorbei. Macht so ein Machtverlust ungerecht?

Ich hatte nie Macht, ich habe nur politische Vorgänge analysiert und Solidarität organisiert. Natürlich war der Abschied vom Anstoß-Sprecheramt schmerzhaft, aber eigentlich bin ich sehr froh, dass ich jetzt freier sagen kann, was ich denke. Es muss auch jemanden geben, der sich das Ganze von außen anguckt.

Interview: Henning Bleyl

Eine Podiumsdiskussion zwischen Katrin Rabus, Thomas Frey (Kulturpolitische Gesellschaft) und Uli Fuchs (Kulturhauptstadt-Büro) findet diesen Donnerstag (20 Uhr) in der Villa Ichon statt. Veranstalter: Heinrich-Böll-Stiftung