Wenn Tresen Trauer tragen

Bier wird immer süßer – schuld ist ein unauffälliger Mann aus Frankfurt-Bornheim

Unlängst ließ der Präsident des Deutschen Brauer-Bundes, Richard Weber, verbreiten, dass aufgrund des in der „Cola-Generation“ manifest gewordenen Trends zum „süßen Geschmack“ Bier „in Zukunft“ wahrscheinlich kein bisschen besser, aber „süßer“ werde. „Bier wird in Zukunft süßer und weniger hopfig“, sagte Weber, und man lasse sich das gesagt sein und auf der Zunge zergehen.

Mitte der Siebzigerjahre oder etwas später, man wird sich des fraglichen Jahrhunderts noch blass durch den letzten Gauloises-schwarzen Filmriss hindurch erinnern, löste das als „herb“ bezeichnete Pilsener das damals marktführende Export als Marktführer auf dem Biermarkt ab. An diesen epochalen Einschnitt müssen wir denken, wenn Weber heute sagt: „Das Schicksal von Export droht nun dem Pils, das sich vor drei Jahrzehnten zur beliebtesten Biersorte in Deutschland aufschwang.“ – „Abgelöst“, so Weber weiter, „wird Pils vom Spitzenplatz voraussichtlich von Biermischgetränken oder Biersorten, die weniger herb schmecken.“

„Ein herber Schlag“, raunt es an Deutschlands Tresen vermutlich, ja, „ein harter Schlag in den Schlund, der uns da bevorsteht.“ So tragen die Tresen Trauer. Doch so sehr es einem auch die Sprache verschlägt, so sehr wären klare Köpfe zu wünschen, um Einsicht in die Wahrheit der Wirklichkeit zu gewinnen.

Schuld an diesem epochal-ordinären Umwälzungsvorgang ist weder die „Cola-Generation“ noch die Generation der „puren Lust am Leben ohne Pils“ (Gesundheitszeitschrift Jolie), sondern ein unauffällig am Pestalozziplatz in Frankfurt-Bornheim lebender Mann, seines Zeichens promovierter Schopenhauerianer. „Ich hab’s doch gesagt, ich hab’s doch schon immer gesagt, ich hab doch den Trend erkannt, ja vorausgedacht!“, schreit der zwischen Zeitungshaufen, Weinflaschenhalden und Schallplattenstapeln hockende ehemalige Zehnkämpfer und „ausgebildete Humanist“, wie er betont, und justiert die Dieter-Hildebrandt-Brille.

Dr. Heinrich Prömm ist kein Mann des unklaren Wortes. Er liebt die Wahrheit und die Unumwundbarkeit und köpft eine Champagnerflasche Jahrgang 1993 Südwesthang per Handkantenschlag. „Ich fackel nicht lange, das müssen Sie wissen!“, brüllt er wie von sich selbst begeistert, und ein Strahl des goldgelben Saftes ergießt sich fontänengleich in den weit geöffneten Schlund, in dem es gefährlich brodelt. „Das war doch abzusehen“, Prömm gluckst kurz, „das hab ich doch gesagt, tausendmal, ich hab doch den Trend schon vor Jahren gesehen!“ Prömms Opernbass schwillt grummelnd an, der bärige Mann greift rasch zu einem Burgunder und rückt den grünen Wodka zurecht. „Seit Jahren hab ich im Spitzen Eck, da vorne“, seine rechte Pranke zeigt Richtung Norden, „die Wende propagiert, ja eingeleitet!“

Was er damit meine, fragen wir in einer Atempause. „Das Pils wird abgeschafft! Das Pils wird abgeschafft, weil das Pils ein Scheißgetränk ist! Das ist doch klar!“ Was sei klar? „Dass Männer, echte Männer, Export trinken! Männer brauchen Nahrung, Kraft, Prozente! Seit Jahren sage ich das! Und seit Jahr und Tag beweise ich im ‚Spitzen Eck‘, dass das Pils weg muss!“

Dr. Heinrich Prömm hat im Dienste der Abschaffung des Pilsbiers etliche tausend Hektoliter Export der Brauerei Binding getrunken, beteuert er. Nun sieht er sich bestätigt. Das Pils breche endlich elendig ein, die Süße komme zurück. „Kinder wollen Süßes, weil sie Kopfnahrung brauchen, weil sie denken wollen“, erläutert Dr. Prömm grölend, er wirft die Arme in die Höhe, sein Bauch bebt, „und das bestätigt sich jetzt auf höherem Menschheitsniveau, auf Männerniveau!“

Der Zampano der Zunge kratzt mit dem kleinen Finger den letzten Tropfen Burgunder aus der Flasche. „Wahrscheinlich greifen jetzt die Frauen, schwach, wie sie sind, zum Pils. Zum ‚schlanken‘ Pils. Aus Solidarität. Aber ich trinke weiter. Im Auftrag der Welt, wie ich sie mir vorstelle. Die Zeit und das Volk sind auf meiner Seite!“

Der Volkserzieher vom Pestalozziplatz lächelt. „Alles für andere, für sich nichts, oder? Ich bin froh, dass ich jetzt die Früchte meiner Überzeugungsarbeit ernte. Süß wird die Zukunft sein. Ich würde fast von einer Generation Prömm sprechen wollen. Ja, ich spreche von einer Generation Prömm! Komme es, wie ich’s wollte!“

Wir gehen, durstig und sprachlos. JÜRGEN ROTH