Der Brandstifter

„Ich war nicht der Erste, der bei der ‚New York Times‘ verrückt geworden ist“, schreibt der Fälscher Jayson Blair in seinem umstrittenen Enthüllungsbuch

VON STEFFEN GRIMBERG

„Ich log und log – und dann log ich noch mehr.“ So einfach war das also. Jayson Blair, der 27-Jährige, der im vergangenen Mai die New York Times in eine bis heute nicht ganz überwundene Existenzkrise stürzte, hat sein Buch geschrieben. Drogen, beruflicher Stress im Newsroom des legendären Blattes und später manische Depression hätten ihn dazu gebracht, systematisch und über Monate hinweg Zitate, Interviews, atmosphärisch dichte Beschreibungen aus anderen Zeitungen abzuschreiben – oder gleich ganz zu erfinden.

14.000 Worte lang war der Beitrag, mit dem sich die NYT am amerikanischen Muttertag 2003 in eigener Sache an die Leserschaft wandte. 288 Seiten braucht Blair nun für seine Geschichte. „Ich war schließlich nicht der Erste, der (…) bei der New York Times verrückt geworden ist. Schon vor meinem Abgang konnte der Tod von drei Kollegen zumindest teilweise auf den Druck bei der Times zurückgeführt werden“, schreibt Blair. Diese „gewisse Arroganz“ der NYT-Mitarbeiter, die sich als Elite des amerikanischen Journalismus sehen, habe zu „großen Fehleinschätzungen über den journalistischen Wert einiger Storys geführt“ – sowie zur „Unwilligkeit, zuzugeben, dass man auch Fehler macht“.

„Ich bin klein. Ich bin schwarz. Und ich weigere mich, Anzüge zu tragen. Ich lache laut“, so Blair, „ich breche all die kleinen Regeln (…), wie rechtzeitig die Reisekosten abzurechnen.“ Der Weg in den ganz großen Regelverstoß begann in seiner Darstellung nach dem 11. September 2001. Damals nonstop im Dienst, hätte er eigentlich von einem Benefiz-Konzert im Madison Square Garden berichten sollen. Doch er nahm die TV-Live-Übertragung des Konzerts als Grundlage für seinen Bericht. „Vom Fernsehen abzuschreiben war bei der Times nicht derartig ungewöhnlich“, so der damals kokainabhängige Blair. Erstmals habe er aber einen Artikel betrunken und high geschrieben – was beinahe herauskam. Damals folgten eine Entziehungskur und das Eingraben in noch mehr Arbeit. Diesmal ging es um den „Washington Sniper“, den Heckenschützen, der Ende 2002 die Hauptstadtregion terrorisierte. Er sei damals von den Verantwortlichen in der Redaktion zu einem „toe-touch“ genötigt worden, behauptet Blair. Weil die NYT den Eindruck erwecken wolle, überall kompetent präsent zu sein, würden viele Artikel per Telefon recherchiert und in der New Yorker Zentrale geschrieben. Um den Artikel aber von „vor Ort“ präsentieren zu können, macht der Autor anschließend einen Blitzbesuch („toe-touch“) am Ort des Geschehens. Das „war nach den Regeln im Newsroom nicht erlaubt, wurde aber allgemein hingenommen und von den Redakteuren am National Desk oft gefordert“.

Beim nächsten Mal ließ Blair dann auch den „toe-touch“ weg. Was folgte, waren die Beiträge, die er aus seinem Apartment in Brooklyn schrieb, der Redaktion aber weismachte, er sei im Land unterwegs. „Manche (…) Journalisten (…) sagen, Reporter sollten nur darüber schreiben, was sie auch wirklich mitbekommen haben. Sie (…) ignorieren aber, dass sehr viel im Journalismus nicht so funktioniert.“

Bei der New York Times musste Chefredakteur Howell Raines gehen, das Blatt führte neue Regeln für den Newsroom ein. Auf Blairs Buch reagiert man dennoch nicht wirklich souverän: „Der Autor ist ein bekennender Lügner“, schrieb der neue Chefredakteur Bill Keller in einer im eigenen Blatt zitierten E-Mail an die Mitarbeiter. Das Buch behaupte, ein Schuldbekenntnis zu sein, teile aber „imaginäre Vorwürfe in alle Richtungen“ aus. Man werde nicht auf Blair oder das Buch antworten. Und weil sie sich nicht auf die Bedingungen des Verlags in Sachen Presse-Exemplare einlassen wollte, hat die NYT das Werk bei Amazon gekauft.