Ohne Kontrolle keine Steuerpflicht

Wenn sich der Bund keine Mühe gibt, die Spekulationssteuer ernsthaft einzutreiben, muss sie auch niemand zahlen, meinen die Bundesverfassungsrichter. Als Kontrollinstrument schlagen sie einen Direkteinzug oder Mitteilungen der Banken vor

AUS KARLSRUHECHRISTIAN RATH

Der Staat darf sich im Steuerrecht nicht absichtlich dumm anstellen. Das erklärte gestern das Bundesverfassungsgericht. Die nachlässige Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus Aktiengeschäften in den Jahren 1997 und 1998 sei daher verfassungswidrig gewesen.

Das Verfahren ausgelöst hatte der Kölner Steuerrechtler Klaus Tipke. 1997 hatte er mit Aktienspekulationen umgerechnet rund 800 Euro verdient, doch Steuern wollte er dafür nicht zahlen. Begründung: „Entweder zahlen alle oder keiner.“ Nach seinem Eindruck täten das derzeit jedoch nur die „Dummen“. Die Steuerzahlung dürfe „keine Spende“ sein. Der Staat müsse schon wirksam kontrollieren.

Dem schloss sich nun auch Karlsruhe an. Im fraglichen Zeitraum sei es „ohne ein praktisch bedeutsames Entdeckungsrisiko möglich“ gewesen, Aktiengewinne bei der Einkommensteuer zu verschweigen, stellten die Richter fest. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und mache auch die zugrunde liegende Steuerpflicht verfassungswidrig. „Es geht hier nicht um eine Nachlässigkeit der Finanzämter, sondern um das Fehlen von wirksamen Kontrollinstrumenten“, betonte die Richterin Lerke Osterloh.

Wie viel Einnahmen dem Staat dadurch entgehen, blieb in der mündlichen Verhandlung vor einigen Monaten umstritten. Die Steuergewerkschaft rechnete mit mehr als einer Milliarde Euro, das Deutsche Aktieninstitut hingegen mit lediglich 140 Millionen Euro pro Jahr.

Winfried Hassemer, der Vizepräsident des Gerichts, nannte zwei nahe liegenden Abhilfemöglichkeiten: Entweder sollte die Spekulationssteuer direkt von den Banken eingezogen werden oder der Fiskus von den Banken direkt Kontrollmitteilungen erhalten, um die Angaben der Bürger überprüfen zu können. Konkrete Vorgaben machte das Gericht allerdings nicht.

Unmittelbare Wirkung hat das Urteil ohnehin nur für die Jahre 1997 und 1998. Für diesen Zeitraum sind inzwischen allerdings fast alle Steuerbescheide bestandskräftig geworden. Mit einer Rückzahlung der Spekulationssteuer können daher nur „ganz wenige Bürger“ rechnen, so Finanzstaatssekretärin Barbara Hendricks (SPD). Freuen können sich dagegen Steuerpflichtige, die in diesen Jahren wegen Hinterziehung der Spekulationssteuer strafrechtlich verurteilt wurden. Sie können eine Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen. Ob das „strukturelle Erhebungsdefizit“ auch in den Jahren nach 1999 fortbestand, ließ Karlsruhe ausdrücklich offen, da sich Tipkes Klage nicht auf diese Zeit bezog.

Die Bundesregierung leitete aus dem gestrigen Urteil keinen akuten Handlungsbedarf ab. „Die Kritik des Gerichts betrifft die Zeit der Kohl-Regierung“, betonte Hendricks, „wir haben gegengesteuert.“ Unter anderem müssten Banken ihren Depotkunden seit diesem Jahr jährlich eine „Erträgnisaufstellung“ liefern, die bei Bedarf auch vom Finanzamt eingesehen werden könne.

Noch im letzten Jahr war die Bundesregierung allerdings mit dem Versuch gescheitert, die Banken zu flächendeckenden Kontrollmitteilungen über Zinserträge, Dividenden und Spekulationsgewinne zu verpflichten. Die Union hatte das im Bundesrat verhindert, obwohl Spekulationsgewinne im geplanten Gesetz nur mit 15 Prozent besteuert werden sollten. Einen neuen Anlauf in diese Richtung werde es nur geben, wenn die Union Zustimmung signalisiere. „Wir können nicht die Finanzmärkte verunsichern,“ erklärte die Staatssekretärin, „und dann kommt am Ende wieder nichts heraus.“

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