Trauerspiel in wechselnden Kulissen

SPD und Grüne verabschieden im Bundestag erneut ihr Zuwanderungsgesetz – wohl wissend, dass die Union es im Bundesrat blockieren wird. Ob und wie das Gesetz danach den Vermittlungsausschuss übersteht, weiß niemand. Ein Déjà-vu-Erlebnis

aus Berlin ULRICH SCHULTE

Zugegeben, der Vergleich ist unfair. Das Ergebnis der gestrigen Bundestagsdebatte war klar; Zirkus aber lebt vom Unerwarteten. Von dieser Petitesse mal abgesehen, war es eine wahrhaft zirzensische Vorstellung, in der die Regierungsparteien SPD und Grüne ihr Zuwanderungsgesetz erneut auf den Weg brachten – wohl wissend, dass die Union es im Bundesrat blockieren wird.

Das rot-grüne Herzensprojekt durchlief schon einmal Bundestag und -rat, gestern erlebte das „Trauerspiel mit wechselnden Kulissen“ (Petra Pau, PDS-Bundestagsabgeordnete) eine Neuauflage.

Vorhang auf. Auftritt des „lustigen Rabauken“ Reinhard Grindel, CDU-Abgeordneter. Die Gewaltkriminalität bei ausländischen Jugendlichen nehme zu, man müsse erst mal die integrieren, die hier seien. Fraktionsvize Wolfgang Bosbach assistierte mit dem Uraltargument, die Integrationskraft Deutschlands werde „weit überfordert“. Und überhaupt: „Multikultigesäusel“ löse nichts, so Grindel weiter. Selbstgefälliger Applaus in Unionsbänken, empörte Gesten der Regierungsfraktionen.

Manege frei für den „besserwisserischen Pierrot“ Otto Schily, Innenminister: Das Gesetz beseitige Mängel geltenden Rechts, lege die Grundlage für moderne Zuwanderungspolitik, und in einer globalisierten Gesellschaft müsste ein Land Türen und Fenster offen halten. Und überhaupt: Die Union mit ihrer „muffeligen, zurückgebliebenen Haltung“ mache „brutale Desinformationspolitik“. Selbstgefälliges Zurücklehnen der Regierungsfraktionen, böses Stuhlwippen bei der Union.

Die Neuregelung, die laut Schily Zuwanderung und Integration umfassend organisiert, lag dem Bundesrat bereits im März 2002 vor. Obwohl damals Brandenburg uneinheitlich stimmte, stellte der damalige Bundesratspräsident Klaus Wowereit eine knappe Mehrheit fest. Das Bundesverfassungsgericht kassierte diesen Beschluss im vergangenen Dezember.

Unionsfraktionsvize Bosbach kündigte gestern bereits an, dass man das Gesetz in der Länderkammer erneut scheitern lassen werde. Alles läuft also auf den Vermittlungsausschuss hinaus.

Ob eine Annäherung gelingt, ist ungewiss. Prominenter Streitpunkt ist etwa der Familiennachzug: Die Bundesregierung will das Nachzugsalter für Kinder von in Deutschland lebenden Ausländern von 16 auf 12 Jahre senken. Die Union fordert die Senkung auf 10 Jahre. Und nicht nur das: CDU und CSU haben 128 Änderungsanträge gestellt, obwohl sie zu Beginn der Diskussion im vergangenen Jahr bereits Dutzende durchsetzten.

Die FDP, die eine Neuregelung für überfällig hält, könnte zur Mittlerin werden. Im Gegensatz zur Union haben die Liberalen ein Gegenkonzept vorgelegt, das dem SPD-Konzept zwar verdächtig ähnlich sieht. Doch ist ein Schwerpunkt des liberalen Papiers immerhin die Integration hier lebender Ausländer, die der Union so am Herzen liegt. Zuwanderer sollen demnach die Kosten ihrer persönlichen Integration selbst tragen. In einigen Ländern, etwa Niedersachsen, ist die FDP Juniorpartnerin der Union. Sie könnte im Vermittlungsausschuss Brücken bauen. Könnte. Denn in Bayern stehen im September Wahlen an. Es ist schwer vorstellbar, dass die Union ihre Blockade vorher aufgibt.