Deutsch-amerikanische Schneedecke

Tauwetter in den deutsch-amerikanischen Beziehungen? Die Regierungen hätten es gerne, doch die Differenzen sind nicht beseitigt. Viel hängt davon ab, wie Bundeskanzler Schröder sich in den Verhandlungen über den Nachkriegsirak verhält

von BETTINA GAUS

Nach starkem Frost reicht das erste Tauwetter nicht, um eine dicke Schneedecke schmelzen zu lassen. Washington und Berlin senden deutliche Signale für eine Verbesserung des politischen Klimas aus – gerade die zeigen jedoch, wie tiefgreifend die Meinungsverschiedenheiten nach wie vor sind. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern in einer Rede zum 100-jährigen Bestehen der US-Handelskammer in Berlin die Verbundenheit beider Länder betont. Aber er bezog sich dabei sehr viel stärker auf die Vergangenheit als auf die Gegenwart.

Schröder erinnerte an die Hilfe der Vereinigten Staaten beim Aufbau der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg und würdigte besonders die „großen Verdienste“ des damaligen US-Präsidenten George Bush im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung. Dessen Sohn, den gegenwärtigen Präsidenten, erwähnte er jedoch mit keinem Wort. Statt dessen bekannte er sich indirekt erneut zur ablehnenden Haltung der Bundesregierung gegenüber dem US-Angriff auf den Irak.

Die „deutsche Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz militärischer Gewalt sollte respektiert und begrüßt werden“, sagte Schröder, ohne allerdings den Irak ausdrücklich beim Namen zu nennen. Es entspreche dem gemeinsamen Selbstverständnis der USA und der Bundesrepublik, „Freiheit und Demokratie vorzuleben und auch international ein System rechtsstaatlicher Institutionen zu entwickeln“, sagte Schröder – eine durchaus mehrdeutige Formulierung angesichts der Tatsache, dass der Irakkrieg in völkerrechtlicher Hinsicht zumindest umstritten war und dass die USA den Beitritt zu Einrichtungen wie dem Internationalen Strafgerichtshof ablehnen.

Nach Ansicht von Beobachtern wird die deutsche Haltung in den laufenden Beratungen des UN-Sicherheitsrates über eine sofortige Aufhebung der Sanktionen gegen den Irak eine wichtige Rolle in der Zukunft des deutsch-amerikanischen Verhältnisses spielen. Washington wünscht diese Aufhebung – Russland und Frankreich fordern hingegen zunächst eine Bestätigung von UN-Waffeninspekteuren, dass der Irak nicht mehr über Massenvernichtungswaffen verfüge. Sie wollen so die Vereinten Nationen stärken.

Gerhard Schröder ging gestern in seiner Rede nicht ausdrücklich auf das Thema ein. Er machte aber deutlich, dass er sich Versuchen widersetzen will, einen Keil zwischen Berlin und Paris zu treiben: „Die enge deutsch-französische Freundschaft und Zusammenarbeit ist für das gemeinsame Europa ebenso unerlässlich wie Europas transatlantische Partnerschaft.“ Offenkundig besteht weiterhin Gesprächsbedarf. Am 16. Mai gibt es dafür Gelegenheit: Dann will Schröder US-Außenminister Colin Powell in Berlin treffen.