Schröder soll nachhaltig werden

32 Grünen-Politiker kritisieren die Kanzlerpläne. Sie wollen die Sanierung der Sozialsysteme mit einer ökologischen Wirtschaftspolitik kombinieren

„Energieimporte müssen wir durch Verstand, Arbeit und neue Dienstleistungen ersetzen“

aus Berlin HANNES KOCH
und MATTHIAS URBACH

Die gegenwärtige Regierungspolitik ist Reinhard Loske ein Rätsel. Das Wort „Notoperation“ fällt dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Grünen noch am ehesten ein. Mehr könne die Agenda 2010 von Kanzler Schröder doch nicht bieten. „Das ist eine halbierte Reform, wir vermissen die Leitbilder.“

In den Festplatten des Bundeskanzleramtes schlummert währenddessen die Nachhaltigkeitsstrategie, eine Art Masterplan zur Ökologisierung Deutschlands. In Schröders Auftrag wurde er 2002 ausgearbeitet – eine langfristige Strategie für soziale Sicherheit, ökologische Modernisierung und neue Arbeitsplätze. „Warum steht davon nichts in Schröders Agenda?“, fragen sich mit Loske noch 31 Grünen-Politiker, die ein Papier unterzeichnet haben. Titel: „Sieben Thesen für die Agenda 2010 mit ökologischer Orientierung“. Gestern wurde der Text veröffentlicht.

Fast alle namhaften Umweltpolitiker der Grünen stehen darunter: Bundestagsabgeordnete wie Winfried Hermann und Ulrike Höfken, die grünen UmweltministerInnen aus Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Klaus Müller und Bärbel Höhn, dazu Politiker aus den Landtagen. Jürgen Trittin, so ist zu hören, steht der Sache positiv gegenüber, konnte aber nicht unterzeichnen, weil er als Bundesumweltminister schlecht das Kabinett kritisieren kann, dem er selbst angehört. Zwei Dinge wollen die Ökologen kombinieren: die mittelfristige Sanierung der Sozialsysteme und eine langfristige ökologische Wirtschaftspolitik.

Das Papier verfolgt eine große Linie: Öffentliches Geld soll nicht für umweltschädliche, sondern für ökologisch sinnvolle Maßnahmen ausgegeben werden. Insgesamt würden, so rechnen die Grünen-Politiker vor, bis zu 15 Milliarden Euro alleine im Bundeshaushalt für Umweltzerstörung verpulvert. Die zur Zeit sechs Milliarden für die Förderung des einheimischen Kohlebergbaus seien da nur ein besonders augenfälliger Posten. Hinzu kommt, dass durch subventionierte Einfamilienhäuser das Land zersiedelt wird und Flugzeuge mit steuerverbilligtem Benzin fliegen.

Diese Finanzmittel wollen Loske und Co. umleiten. Statt Neubau in der Landschaft will man die Sanierung von Altbauten in den Städten fördern. Statt Milliarden in die teure und ineffiziente Kohleindustrie zu stecken, gelte es, den regenerativen Energiequellen mehr Mittel zukommen zu lassen. Steuerliche Anreize sollen anders verteilt werden, um zum Beispiel die Automobilindustrie unter Druck zu setzen: Wenn abgasarme Fahrzeuge mit niedrigeren Steuern belohnt, dreckige Motoren hingegen zunehmend bestraft würden, diene das nicht nur der Luftqualität. Langfristig, so sind sich die Autoren des Grundsatzpapiers sicher, werde das jede Menge Arbeitsplätze schaffen. Wenn die Erdölwirtschaft in einigen Jahrzehnten weltweit zum Erliegen komme, könne Deutschland beim Verkauf angepasster Produkte die Nase vorne haben. „Energieimporte müssen durch Ingenieurverstand, Handwerkerarbeit und neue Dienstleistungen ersetzt werden“, hat Reinhard Loske formuliert, der für große Teile des Papiers verantwortlich ist.

Die Hoffnungen der Ökoreformer gehen aber noch weiter. Die Einsparungen in Kombination mit einer ausgedehnten Ökosteuer ab 2003 sollen so viel Geld bringen, dass ein Teil davon ins Sozialsystem gesteckt werden kann. Kosten, die dort nicht hingehören – Stichworte „deutsche Einheit“, „Mutterschutz“, „Sterbegeld“ –, will man durch Steuern und nicht länger durch Sozialbeiträge von Beschäftigten und Unternehmen aufbringen. Erhoffter Effekt: Arbeit wird billiger, es gibt mehr Jobs.

Heftiges Kopfschütteln verursacht es bei den Grünen, dass die Bundesregierung zwar verbissen um die Gesundheitsreform kämpft, die nahe liegenden Möglichkeiten zur Reduzierung der Krankheitskosten aber nicht berücksichtigt. „Dieselruß verursacht Krebs“, heißt es in dem Papier. Er wird ausgestoßen von Millionen dieselgetriebener Pkw und Lkw. Warum bleibt das so? An diesem Punkt lässt sich Loskes Rätsel ziemlich leicht auflösen. Die meisten Autokonzerne weigern sich, Dieselrußfilter einzubauen, weil sie erst ihre Investitionen in die gegenwärtige Motorengeneration amortisieren wollen. Mal sehen, ob Loske sich durchsetzen kann mit dem Wunsch nach „höheren Grenzwerten und steuerlichen Anreizen“.