Kopftücher im Bremer Rathaus

In Bremen soll eine breite Debatte um das Kopftuch stattfinden, bevor der Senat sich festlegt. Gestern waren die Juristen dran – und der Saal voll, auch mit Kopftüchern

Bremen taz ■ „Wieviele Fälle werden wir in den nächsten Jahren haben? Vierundzwanzig?“, fragte der frühere Verfassungsrichter Ernst-Gottfried Mahrenholz. „Lassen wir doch die Kirche im Dorf.“ Ein Gesetz brauche man nicht, das war seine Position in der gestrigen ersten Kopftuch-Debatte im Bremer Rathaus. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil hatte der Bremer Bildungssenator Willi Lemke (SPD) schnell ein gesetzliches Kopftuch-Verbot gefordert, der SPD-Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen aber hatte interveniert und klar gemacht, es müsse erst eine breite gesellschaftliche Debatte über das Thema geben, bevor die SPD sich da festlegen lasse. Im Rathaus sind in diesen Wochen drei Veranstaltungen geplant, gestern war die erste Runde mit den Juristen.

In Nordrhein-Westfalen gebe es acht Frauen mit Kopfuch im Lehrerdienst, untermauerte Mahrenholz seine Ablehnung eines Gesetzes. Alle seien deutsche Staatsangehörige, eine von ihnen sei 18 Jahre im Dienst, eine andere acht Jahre. Offenbar habe es keine Probleme gegeben.

Sein juristischer Widersacher Paul Kirchhof, auch ehemaliger Verfassungsrichter, identifizierte sich mit dem baden-württembergischen Gesetzentwurf zum Kopftuch-Verbot. Der bezieht sich auf den Schulfrieden und verpflichtet die Lehrer zur Neutralität, nimmt aber christliche und abendländische Traditionen davon aus. Das Symbol Kopftuch wirke unabhängig von der Person und ihrem Verhalten. Je mehr verschiedene Kulturen eine Gesellschaft integriere, desto klarer müsse der Staat seine Neutralität betonen.

Das Land Bremen definiere in seiner Landesverfassung sein Verhältnis zur Religion aber distanzierter, bemerkte Kirchhoff. Ein Kopftuchverbot sei deshalb leichter zu begründen, die Ausnahme für christliche Symbole rechtlich schwieriger.

Mahrenholz plädierte dgegen für eine Einzelfall-Entscheidung. Sogar die Berufsverbote gegen Kommunisten seien juristisch immer als Einzelfallprüfung juristisch behandelt worden, erinnerte er. Es gebe eine Referendarszeit, danach gebe es eine dreijährige Probezeit, in der das Verhalten der neuen Lehrerin bewertet werden könne.

Ein Moslem stellte in der Rathausdebatte die Frage, wie tolerant eigentlich die deutsche Mehrheitsgesellschaft sei. Er sei Kind eine Gastarbeiters, der eigentlich nur Abeit gesucht habe, am Anfang. Er habe dann die Fragen ‚Möchte ich in dieser Gesellschaft leben? Kann ich hier leben?‘ für sich mit Ja beantwortet. Nun frage er: „Will diese deutsche Gesellschaft die Integration?“

Der Präsident des Bremer Oberverwaltungsgerichtes, Mathias Stauch, beteiligte sich an der Debatte mit einer ganz anderen Position. Ein Religionsprivileg für eine Religion dürfe es in einem Bremer Gesetz nicht geben, meinte er, auch keinen Verweis auf den vermeintlichen Schulfrieden. Das einzige Problem sei, ob der Staat nicht muslimische Schülerinnen schützen müsse, die sich durch eine Lehrerin mit Kopftuch, die ihnen Noten gibt, unter Druck gesetzt fühlen könnten. Klaus Wolschner