„Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht lügen wollen“: Margit Schreiner liest im Literaturzentrum
: Tod durch Umarmung

Über ihren Roman Die Klavierspielerin hat Elfriede Jelinek gesagt, sie habe darin ihre Mutter getötet; viele Frauen hätten ihr geschrieben, ihr gedankt für diesen stellvertretenden Muttermord. Ihre Kollegin Margit Schreiner greift in ihrem neuen Buch Heißt lieben, aus dem sie im Literaturzentrum lesen wird, gleich zum kollektiven „wir“: „Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht länger lügen wollen.“

Was treibt die beiden österreichischen Autorinnen um? Was zeichnet diese Mütter aus, dass den Töchtern der imaginierte Muttermord als einzige Gegenwehr erscheint? „Unsere Mütter sind nicht imstande, andere Menschen wahrzunehmen. (...) Unsere Mütter können andere Menschen nur wahrnehmen, nachdem sie sich die Menschen einverleibt haben.“

Schreiner, Jahrgang 1953, erzählt von einer Generation von Frauen, deren Selbstbild noch eindeutiger als heute von einer auf Familie, auf Mutterschaft reduzierten Weiblichkeit geprägt war. Der Entfaltung eines eigenen Begehrens stand die zugewiesene Passivität entgegen. Kaum möglich, den Töchtern das Eigene zu lassen und sie dafür zu lieben. „Man liebt, wie man das erstemal in seinem Leben geliebt worden ist (...). Damit beginnt ja das ganze Dilemma.“ Und um dieses Liebes-Dilemma kreist Schreiner, viele Tonlagen ausschöpfend.

Denn der apodiktische Gestus, die Härte des Anfangs wechselt ab mit einem zarten, tastenden Ton, als das Sterben der Mutter beginnt. Der drohende und schließlich eintretende Verlust verändert den bis dahin gültigen Blick, und Schreiner wechselt vom „wir“ zum „ich“. Sie wird intim, ohne in eine bezugslose Innerlichkeit abzugleiten. Ihre Schreibstrategie setzt das vermeintlich vollkommen Private mit gesellschaftlichen Zurichtungen in Beziehung, sie sorgt für eine beständige gegenseitige Bespiegelung.

In Heißt lieben hat die Autorin ein vielstimmiges Kaleidoskop der Motive Liebe, Tod und Geburt entworfen. Vom Tod der Mutter erzählt sie im ersten Teil, in den zwei folgenden geht es um Liebesversuche zu einem Mann und um die Geburt der eigenen Tochter: Welche Liebesmuster wird die Ich-Erzählerin ihr weitergeben?

Man hat bei Schreiner oft das Gefühl, sie schöpfe aus der gelebten Erfahrung und verschleiere diese Quelle auch nicht. Die Intensität liegt ebenso in einzelnen Sätzen, wie in der Dichte des von ihr gesponnenen Netzes der Bezüge und Verweise. In den drei Teilen überlagert Schreiner ihre Motive, verschachtelt sie ineinander, ohne sie mit Bedeutungszwang zu überladen. Die verschiedenen Tonlagen und Erzählmodi machen den Text uneinheitlich, aber er zerbricht nicht. Er ist so gebrochen, wie es die Wahrnehmungen, Empfindungen eines nicht geglätteten Lebens sind – und das ist seine Stärke. Die Schärfe des Blicks und die Vehemenz der Wut stehen berechtigt neben der Selbstbefragung und Annäherung an die Mutter und dem Eingeständnis der eigenen Bedürftigkeit; die zuweilen surrealen Landschaftsbeschreibungen und Liebesszenarien neben den sehr detaillierten Schilderungen der Geburtsschmerzen. Ein Resümee gibt es nicht. Eine Art Verwunderung über das Voranschreiten des eigenen Lebens und die bleibende Gültigkeit der immer gleichen Fragen bleibt.

Die Fragen zwischen Müttern und Töchtern haben sich im Laufe der Zeit verändert – aber die Verhinderungen in der Liebe, die Mütter-Zwänge, sind nicht aufgehoben. Heißt lieben ist kein Buch nur einer (Frauen)Generation. Carola Ebeling

Margit Schreiner: Heißt lieben. Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 2003, 150 S., 18,90 Euro.Lesung Montag, 20 Uhr, Literaturzentrum, Schwanenwik 38