Verirrt in der Wüste

Ein vielversprechender junger Regisseur, Gaststars und ein uralter Stoff: Das Epos von „Gilgamesch und Endkidu“ lockte mit vielen Attraktionen. Doch dann war alles nur halb, halb Slapstick, halb Mythos. Ohne Vertrauen in die Kraft des Textes

VON ESTHER SLEVOGT

Auf dem Programm im neuen Theatersaal des Tacheles steht ein uralter Mythos, der älteste literarische Text, der überhaupt erhalten ist: das Gilgamesch-Epos, vor gut viertausend Jahren in Mesopotamien entstanden, im heutigen Irak. Die Aufführung von „Gilgamesch und Enkidu“ fängt lustig und etwas läppisch an: Ein britisches Archäologenduo stolpert um einen schwarzen Kubus. „Eine Wüste im Süden des Irak“, lässt eine Tafel über der Szene wissen, im Jahr 1923. Natürlich haben sich die beiden Ärchäologen verirrt. Natürlich behält nur ihr radebrechender irakische Träger (Roberto Guerra) den Durchblick, während die beiden europäischen Archäologen in ihren westlichen Kleidern eher wüstenuntauglich wirken.

Musicalreif und völlig unbeeidruckt von ihrer unübersichtlichen Lage, schmettern sie eine Hymne auf die eigene Profession: „We are acheologists … reconstructing broken dreams … digging, digging, digging …“ Dabei erschließt sich allerdings nicht, wieso die ganze Zeit englisch gesprochen und gesungen wird. Auch die Jahreszahl gibt zu denken. Denn den Archäologen George Smith, mit dem wir es hier auf der Bühne zu tun haben, hat es tatsächlich gegeben, und er hat auch wirklich einige fehlenden Tafeln des Gilgamesch-Epos ausgegraben, auf dessen Theaterversion wir hier warten. Allerdings schon im 19. Jahrhundert. 1923 war das Vorbild des vertrottelten jungen Archäologen (Patrick von Blume), der jetzt mit seiner Partnerin Gertrude (Rula Badeen) auf der Suche nach den fehlenden Tafeln ist, definitiv längst verstorben. Doch weil man sich lieber Richtung Kino als Richtung Wahrheit streckte, wurde das Jahr 1923 gewählt, samt passender Roaring-Twenties-Mode.

„Oh Schreck! Ein Mythos!“, hatte schließlich schon der Pressetext vor dem Stoff gewarnt. Damit sich in diesen Zeiten, wo uns überall der Ruf „Es lebe billig!“ entgegenhallt, der Schrecken vor dem lang haltbaren Kulturgut Mythos in Grenzen hält, hat der Regisseur Andreas Stadler die Geschichte in einen Slapstick gerahmt. Wie in Trance tauchen die Akteure dann in das Epos ein und in die deutsche Übertragung von Raoul Schrott.

Bald haben sie die fehlende Tontafel gefunden und geraten lesend tief hinein in die Geschichte vom sumerischen König Gilgamesch, der sein Volk terrorisiert und von den Göttern einen Gegenspieler vor die Nase gesetzt bekommt. Lustgrunzend kommt also dieser Gegenspieler Enkidu (Roberto Guerra) aus einer Öffnung des schwarzen Kubus gekrochen, halb Tarzan, halb Minotaurus. Patrick von Blume ist Gilgamesch geworden. Beide sind schnell ineinander verkrallt und kämpfen stumm. Am Ende sind sie Freunde oder sogar ein Liebespaar geworden. Sie streifen durch die Welt, trotzen den Göttern, und irgendwann beschließen diese Götter Enkidus Tod.

Die palästinensisch-schweizerische Schauspielerin Rula Badeen, die alle Frauenrollen (darunter eine Hure, die Königsmutter und die Göttin Ischtar) spielt, singt, nein schreit ein zerdehntes, arabisch klingendes Klagelied. Doch in diesem Moment scheint es, als bekäme der Regisseur Angst vor dem Mythos und der suggestiven Kraft, die seine Inszenierung plötzlich gewonnen hat und zu denen auch Simon Hostettlers Musik einiges beiträgt. Er lässt das Schauspielertrio ziemlich abrupt aus dem Gilgamesch-Traum erwachen. Die drei müssen wieder Slapstick-Archäologen sein, es wird Englisch gesprochen, und bald darauf werden die Zuschauer in die Pause geschickt.

Danach kommt der Abend nicht mehr so richtig in Gang. Zwar taucht als Höhepunkt Gaststar Matthias Habich auf, der im Wechsel mit Georgette Dee den weisen Utnapischti spielt, eine Art vorbiblischen Noah, von dem sich Gilgamesch nach dem Tod seines Freundes Einblicke in das Geheimnis der Unsterblichkeit erhofft. Ob von diesem Mann in Schlabberpulli jedoch wesentliche Erkenntnisse in dieser Sache zu erwarten sind, bleibt zweifelhaft. Es wird noch ein bisschen nach Effekten gehascht. Dann ist der Abend zu Ende. Wieder einmal ist ein Theaterabend angetreten, im Personal uralter Texte den Menschen von heute zu entdecken statt die Kraft, die einen solchen Text jahrtausendelang überleben lässt.

Gilgamesch und Enkidu. 11.–28. 3. Tacheles, danach Hans-Otto-Theater Potsdam, Reithalle A