das jenseits und die große wäsche von JOACHIM SCHULZ
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Meine Großmama wird von vielen beneidet. Zu Recht, wie ich finde, denn trotz ihres beinahe biblischen Alters erfreut sie sich einer so blendenden Gesundheit, dass ich bereits eifrig zu sparen begonnen habe, um ihr anlässlich ihres hundertsten Wiegenfestes auch eine rauschende Party spendieren zu können. Dennoch werden ihre Tage leider nicht nur vom Frohsinn beherrscht. Aus biologisch erklärbaren Gründen nämlich ist es relativ einsam in ihrem Leben geworden, da die überwiegende Mehrzahl ihrer alten Freundinnen längst eine letzte Heimat auf dem städtischen Friedhof gefunden hat.

Den größten Verdruss bereitet es meiner Oma jedoch, dass sie vom Hinscheiden einer ihr nahe stehenden Person durch einen geheimnisvollen übersinnlichen Draht stets unmittelbar erfährt: Wenn sie davon träumt, dass sie große weiße Laken in einem dampfenden Zuber wäscht, kann sie sich sicher sein, dass in derselben Stunde eine liebe Seele friedlich ins Jenseits übergesiedelt ist. Noch nie, erklärte sie mir einmal, habe dieser Traum sie getäuscht.

Entsprechend pumpert mein Herz wie ein alter Rasenmähermotor, als ich mitten in der Nacht erwache und mich gleichfalls an den Bettlakenwaschtraum erinnern kann. Schon drehe ich mich entsetzt zur Liebsten herum und horche auf ein Lebenszeichen. Obschon ich jedoch ihr gewohntes Geschnorchel sehr deutlich vernehmen kann, wecke ich sie, um ganz sicherzugehen. „Was ist denn los?“, murmelt sie, so dass ich ihr von meinem Traum und seiner Bedeutung erzähle. Sie freilich stößt daraufhin nur ein paar unzitierbare Flüche aus, wickelt sich wieder in ihre Decke und murmelt, dass ich – statt meine Zeit mit solchem Hokuspokus zu verschwenden – lieber die lockeren Schrauben in meiner Schädelkugel mal wieder festdrehen solle.

Trotz dieser eindeutigen Anweisung jedoch verfüge ich mich am nächsten Morgen nicht pflichtgemäß an den Schreibtisch, um meinen bescheidenen Beitrag zu unseren gemeinsamen Einkünften zu erwirtschaften. Stattdessen greife ich zum Telefon und rufe unter den verschiedensten Vorwänden nach und nach alle Familienmitglieder und Freunde an. Jedes Mal, wenn ich wähle, beginnt der Rasenmähermotor wieder zu laufen – erstaunlicherweise jedoch sind alle Verwandten und teuren Gefährten wohlauf. Allein mein alter Spezi Jurek hat sich am Vortag bei der Gurkensalatproduktion eine Fingerkuppe runtergehobelt. Auch er aber schwebt, wie er mir mehrfach versichert, durchaus nicht in der Gefahr, an dieser Wunde nachträglich noch zu verbluten.

Dann aber klingelt plötzlich Niko, der Filius unserer Nachbarn, an der Tür und hält mir einen mausetoten Hamster vor die Nase. „Weia, der arme Herr Brömmel!“, murmele ich, und Niko nickt. „Hilfst du mir, ihn zu begraben?“, fragt er. „Klar“, sage ich und begleite ihn hinaus in den Garten.

Auch wenn ich beim Verbuddeln des Hamsters eine sehr ergreifende Trauerrede halte und höchst betrübt dreinschaue, bin ich doch insgeheim ziemlich erleichtert, dass der unheilvolle Traum von der großen Wäsche letztlich diesen glimpflichen Ausgang genommen hat.