herr tietz macht einen weiten einwurf
: Trimmen mit Nils im Bauch

Fritz Tietz über kugelplauzige Väter, ihre vorlauten Gören und jämmerliche Mehlsäcke an der Reckstange

Nichts gegen sportliche und körpertüchtige Leute. Jedenfalls nichts, solange sie einem nicht blöde kommen mit ihrer turnschuhfitten Doktrin vom Power-Jogging oder perfekten Body-Maß-Index, wonach angeblich nur die dauerläufige und hantelstemmende Existenz eine menschenwürdige sei und jede Abweichung vom so genannten Idealgewicht die Zwangseinweisung in eine Fitnesshölle erfordere. Genau das aber passiert längst. Längst hat sich nämlich hierzulande die sportive Sorte Mensch als der einzig akzeptierte Menschentypus durchgesetzt. Das Dünne und Diätlimonadige diktiert zusehends unsere Lebensumstände. Mählich wird so die Attraktivität des Daseins auf das gänzlich sinnenfreie Niveau der DAK-Mitgliederzeitschrift abgesenkt.

Dieser unseligen Entwicklung glaubte offenbar auch der Hamburger Carlsen-Verlag Vorschub leisten zu müssen. Und tat dies perfiderweise mit einem höchst indoktrinären Kinderbuch, auf dass möglichst schon die Kleinen sehr früh die Irrlehre vom ausschließlich Spartanischen und Spackeligen verinnerlichen. Dabei schreckten Autorin Anja Kemmerzell und Zeichnerin Stefanie Scharnberg nicht mal davor zurück, Kinder beleibterer Väter gegen diese aufzuwiegeln und sie dazu anzustacheln, aktiv deren soziale Ausgrenzung zu betreiben. „Anna auf dem Trimmpfad“ heißt dieses Machwerk aus der bekannten Pixi-Buch-Reihe. Erzählt wird, wie die ca. sechsjährige Titelheldin, ein penetrant pfiffiges und aufdringlich naseweises Mädchen, ihren Vater, der nicht von ungefähr als angeglatzter, hängeschultriger Töffel angelegt ist, einer angeblich zu großen Fettness bezichtigt. Frech piekst ihm die vorlaute Göre ihren Finger in die allenfalls leicht kugelige Plauze und merkt dazu unverhohlen höhnisch an: „Du siehst schon fast aus wie Mutti, als Nils noch in ihrem Bauch war. Aber Mamis Bauch war ganz fest und deiner ist weich wie Wackelpudding!“ Und damit nicht genug der respektlosen Frechheiten: „Der Papa von Nikki joggt und ist überhaupt kein bisschen dick, und außerdem ist der superfit“, desavouiert das altkluge Gör ihren Vater zusätzlich durch Vätervergleich und wird dabei von ihrer Mutter unterstützt: „Stimmt“, benölt die jetzt nämlich auch noch ihren Männe, „und Toms Vater spielt regelmäßig Tennis.“

Statt aber nunmehr endlich der vorlauten Brut links und rechts eine zu langen und der Frau mit Amoklauf oder wenigstens Scheidung zu drohen, lässt dieser Mann bloß den letzten Rest seiner Würde fahren, indem er ohne jede Widerrede in einen albern gelben und viel zu knappen Trainingsanzug schlüpft und umgehend einen Trimmpfad aufzusuchen beschließt. „Au ja, da komme ich mit!“, ruft vorfreudig das Miststück von Tochter; dabei will die ja eigentlich nur eins: den Papa scheitern sehen.

Und tatsächlich. Nie sah man in einem Kinderbuch einen Vater so gedemütigt dargestellt. Schon an der ersten Station des Trimmpfads, einer Reckstange, lassen ihn die Autorinnen auf einen drahtigen Jogger treffen, der hier mal eben lässige 20 Klimmzüge absolviert. „Los jetzt, Papi. Das schaffst du auch“, stichelt die nervige Tochter, doch natürlich schafft er das nicht, hängt bloß, wie es wörtlich heißt, „wie ein Mehlsack an der Stange“, ehe er kraftlos abrutscht und bäuchlings im Matsch landet. Auch an der zweiten Station, einem Hüpfparcours, lassen ihn die Autorinnen kläglich versagen und sich abermals der Länge nach hinlegen. Das Ende vom Lied: der Vater verlässt nach nur zwei Stationen den Trimmpfad als gebrochener, humpelnder Mann und sinkt daheim ächzend in einen Liegestuhl. Verächtlich blicken Frau und Tochter auf dieses elendige Manns- und Vaterbild und auch die Eltern von Nikki und Tom können ihre Schadenfreude und Abscheu kaum verhehlen.

Ich weiß nicht, wie meine Tochter, 6, in den Besitz dieser niederträchtigen Hetzschrift gelangt ist. Ich weiß nur, dass sie sie mir neuerdings dauernd unter die Nase hält und, dabei auf den im Dreck liegenden Vater deutend, immerzu sehr belustigt kräht: „Das bist du, Papa, das bist du!“ Noch heute werde ich dieses verdammte Buch dem Altpapier übergeben.

Fotohinweis: Fritz Tietz ist 45 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport