Häuserkampf in Kirkuk

Viele Kurden wurden aus der Ölstadt vertrieben. Sie wollen zurück, in ihren Häusern wohnen andere. Wie zwei Familien versuchen, das Problem zu lösen

aus Kirkuk INGA ROGG

Mit Farbe und Humor verabschiedet man in Kirkuk das alte Regime. Am Stadteingang haben Kinder einen liegen gebliebenen irakischen Panzer bunt angemalt: „Nie wieder Krieg! Frieden!“ Vor dem Sitz des Gouverneurs haben Witzbolde an der Stelle, wo vor vier Wochen noch die Statue von Saddam Hussein stand, aus Soldatenstiefeln einen hinkenden Alten gebaut, der jeden Moment umzufallen droht.

Für diese Nadelstiche gegen das untergegangene Regime hat Semia Hajji Ahmed Fatah an diesem Morgen kein Auge. Die Kurdin ist im Auftrag ihres Vaters nach Kirkuk gekommen, um die Rückgabe des alten Familienbesitzes zu regeln. Vor 28 Jahren musste die Familie die Stadt verlassen, weil sich der Vater an den Untergrundaktivitäten der kurdischen Widerstandsbewegung beteiligt hatte. Zwanzig Monate hatte man ihn dafür ins Gefängnis gesteckt und ihm die Arbeit in der staatlichen Ölraffinerie verboten. Eines Tages tauchte eine Abordnung der Baath-Partei bei ihm auf und stellte ihn vor die Wahl: 3.000 Irakische Dinar für das Haus, oder die Familie wird ohne Entschädigung vor die Tür gesetzt. Hajji Ahmed nahm das Geld und ging. Zuerst in den Iran, später in die nordirakische Stadt Suleimaniya.

Mit finsterer Miene betritt Semia das Haus am westlichen Rand der Altstadt. Misstrauisch blickt sich die 48-Jährige in dem Gebäude um, wo sie ihre Kindheit und Jugend verbracht hat. Es ist ein Haus im alten kurdischen Stil. Küche, Bad und Wohnräume sind um einen Innenhof mit einem kleinen Garten gruppiert. In den Räumen blättert der Putz von den Wänden, Regen hat die Decken in eine unansehnliche Masse aus braunem Rost und grauem Schimmel verwandelt.

„Ihr habt das Haus in eine Ruine verwandelt“, schimpft sie unvermittelt, „man sieht sofort, dass euer Herz nicht daran hängt.“ – „Wir hatten einfach kein Geld“, wenden die jetzigen Bewohner ein. Doch für sachliche Argumente ist die Kurdin in diesem Augenblick nicht zugänglich, zu schwer wiegen die Erinnerungen an die Kindheit und die Demütigungen durch das Regime. „Mein Vater hat euch vier Wochen Zeit gegeben, jetzt müsst ihr gehen“, fährt sie das Familienoberhaupt an. Aber so einfach ist das nicht. Auch Terki Alawi Sinaif, der jetzige Bewohner, konnte sein Schicksal nicht selbst wählen. Vor 32 Jahren wurde der Schiit als Lehrer von Nadschaf nach Kirkuk versetzt. 1977 überließ ihm das Regime das Haus der Kurden zur Miete, fünf Jahre später wurde es ihm für 10.000 Dinar zum Kauf angeboten.

Im Rahmen eines Umsiedlungsprogramms, das darauf abzielte, die ethnische Landkarte des Landes umzuschreiben, erhielten Kurden und schiitische wie sunnitische Araber damals 10.000 Dinar, wenn sie ihren Herkunftsort für immer verließen. Um die kurdischen Ansprüche auf die Erdölgebiete um Kirkuk zu untergraben, wurden auf diese Weise zehntausende Kurden im Süden des Landes angesiedelt. Ein ganzes Stadtviertel, in dem nur Araber wohnen und das im Volksmund nur das „Viertel der Zehntausender“ genannt wird, ist so in Kirkuk entstanden.

Der Schiit Terki nahm das Angebot an und bezahlte damit das Haus der Kurden – ein billiges Geschäft für das Regime. Weil er aber gläubig ist und das Gebet in einem sunnitischen Haus der Billigung des Eigentümers bedarf, schickte er vor Vertragsabschluss einen Mittelsmann zu Semias Vater, um dessen Zustimmung einzuholen. „Mein Vater hatte doch gar keine andere Wahl“, sagt Semia. Mehrmals hat er versucht, einen Kredit für die Renovierung des Hauses oder die Erlaubnis zur Rückkehr zu erhalten. Fünf Briefe hat er geschrieben – an den Gouverneur von Kirkuk, den Chef der örtlichen Baath-Partei und drei Mal sogar an Saddam Hussein persönlich. Eine Antwort hat er nie erhalten.

„Richten Sie Ihrem Vater aus, dass ich alles tue, was er wünscht“, versucht der schiitische Familienvater Semia zu beruhigen. Doch die zweifelt an seiner Ernsthaftigkeit. Tags zuvor hat er sich bei der obersten Polizeidienststelle von Kirkuk beschwert, die ihm bescheinigte, dass der Konflikt auf dem Rechtsweg beigelegt werden muss. Das Papier ist auf Kurdisch ausgestellt und ein deutliches Zeichen für das nach zwölf Jahren Regierungserfahrung entstandene Selbstbewusstsein der Kurden. Das kann Semia kaum beruhigen.

Noch einmal schaut sie sich im Haus um, und wieder überwältigt sie die Erinnerung. Da sind die Fliesen, für die sie den Zement geschleppt hat. Dort die Tür zum Dach, die ihr Vater anbrachte, nachdem sie einmal die steile Treppe herunterfiel.

Tausende von Familien in Kirkuk teilen das Schicksal von Semia und Terki. Noch ist nicht klar, wie dieses Erbe der Saddam-Diktatur auf dem Rechtsweg bewältigt werden kann. Einige kurdische Familien haben es gelöst, indem sie den neuen Bewohnern Geld zahlten, damit sie gehen. Vereinzelt kam es auch zu Gewaltakten. Im Großen und Ganzen würden die ehemaligen kurdischen Besitzer abwarten, sagen die Nachbarn. Doch müsse bald eine Regelung gefunden werden.

Am Donnerstag hat der US-Militärverwalter der Stadt angekündigt, dass eine Anlaufstelle für solche Probleme eingerichtet werde. Gleichzeitig demonstrierten seine Truppen mit einer Razzia gegen den Sender der „Front der irakischen Turkmenen“, die den Alleinvertretungsanspruch auf Kirkuk erhebt, dass man ihrem Treiben nicht tatenlos zusieht. Beide, Schiit und Kurdin, sind erleichtert über diese Nachricht. „Die Amerikaner haben uns von diesem Regime befreit“, sagt Semia. „Hoffentlich bleiben sie, bis wir unsere Probleme gelöst haben.“