Ich mache weiter Schulden

Der alte Superstar der rot-grünen Regierung ist auch der neue: Hans Eichel will für 2006 keinen ausgeglichenen Haushalt mehr. Der Finanzminister bleibt fröhlich und denkt nicht an Rücktritt

BERLIN taz ■ Hans Eichel ist weiter der Superstar der rot-grünen Bundesregierung. Er korrigiert seinen strikten Sparplan, will über 2006 hinaus Schulden machen und erklärt frohen Mutes, trotz alledem im Amt zu bleiben. Rücktritt? „Wenn ein Minister in schwierigen Zeiten solche Erwägungen hätte, wäre er wahrscheinlich fehl am Platz“, sagte Eichel am Wochenende. Finanzpolitik könne nur so erfolgreich sein, wie der konjunkturelle Rahmen es zulasse.

Der Kanzler stützt die neue Linie. „Für ein Budget 2006 ohne Neuverschuldung bräuchten wir Wachstumsraten, die ich nicht erwarten kann“, sagte Schröder dem Tagesspiegel.

Die Opposition ist mit der neuen Offenheit der rot-grünen Regierung gegenüber dem Schuldenmachen nicht einverstanden. „Eichel ist politisch am Ende und soll seinen Stuhl räumen“, verlangte CSU-Chef Edmund Stoiber. CDU-Chefin Merkel sieht Eichel ebenfalls vor „einem Scherbenhaufen“ stehen und erwartet persönliche Konsequenzen. Auch FDP-Chef Guido Westerwelle wünscht sich einen Rücktritt: „Eichel kriegt es nicht mehr hin.“ Doch der Minister ist anderer Meinung.

Als Eichel seinen Job vor ziemlich genau vier Jahren antrat, hatte er noch erklärt, „die Zeit des Durchwurstelns ist vorbei“. Doch im vergangenen halben Jahr war er selbst zunehmend in die Kritik geraten, weil er sich mit seiner Finanzpolitik nur noch durchwurstelte und mit der Wahrheit scheibchenweise herausrückte.

Davon befreite sich der Finanzminister an diesem Wochenende mit einem Schlag. Noch vor der vor Donnerstag erwarteten neuen Steuerschätzung, die erneut tiefe Löcher im Haushalt prognostizieren wird, machte sich Eichel gleich von mehreren früheren Ankündigungen frei. So soll es dieses Jahr doch einen Nachtragshaushalt geben, die Neuverschuldung 2003 – nach 3,6 Prozent im vergangenen Jahr – erneut über drei Prozent liegen. Zudem würden die Investitionsausgaben wieder geringer sein als die neuen Schulden. Dies ist von der Verfassung nur erlaubt, wenn eine „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ festgestellt wird. Auch das will Eichel nun tun.

Der Finanzminister möchte das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nun für zwei bis drei Jahre verschieben, je nach dem weiteren Konjunkturverlauf. Wie viel Schulden Eichel in diesem Jahr nun mehr machen will, verriet er nicht. Es kursiert in Berliner Kreisen allerdings die Zahl 31 Milliarden Euro. Das wäre über die Hälfte mehr als die bislang im Haushalt eingeplanten 18,9 Milliarden Euro.

Bereits im Januar hatte EU-Finanzkommissar Pedro Solbes dem deutschen Finanzminister signalisiert, dass man angesichts der Konjunkturflaute auch in diesem Jahr ein Verfehlen des Maastrichter Defizitkriteriums um bis zu einen Prozentpunkt durchgehen lassen wolle. Eichel sprach von einem vermutlichen Defizit unterhalb der erlaubten vier Prozent, wollte aber ein überschreiten der vier Prozent auch nicht ganz ausschließen. „Wie soll ich das?“, sagte er dem Spiegel. „Ich kann ja auch nicht ausschließen, dass sich das Defizit womöglich besser entwickelt.“ MATTHIAS URBACH

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