Von Knirpsen und Absurditäten

Noch zwölf Tage bis zur Bürgerschaftswahl und alles scheint wieder offen: Es darf ernsthaft spekuliert werden, wer das Rennen macht. Und ob die CDU nicht einen Gang zurückschalten sollte: Derzeit wirbt sie mit dem politischen Gegner

Regieren als Verlierer kann sich in der SPD „keiner wirklich vorstellen“

taz ■ „Peinlich – fragt sich nur, für wen.“ Und: „Das werden unsere Leute hoffentlich nicht falsch verstehen.“ Das sind die Reaktionen, wenn man ortsfremden SPD-Mitgliedern die aktuelle CDU-Wahlwerbung unter die Nase hält. Die Postkarte mit den zwei Knirpsen im rotschwarzen Ringelpulli, Arm in Arm vorm blauen Meer, darüber die Schrift „Wer Scherf will, muss CDU wählen“, darunter kleiner: „Hartmut Perschau, Bürgermeister“, wird von den meisten jedoch nicht sofort als das verstanden, was sie ist: ernst gemeinte Wahlwerbung. Dem irritierten Blick folgt meist befremdetes Aufgucken, dann ein säuerliches Lächeln und obige Kommentare. So beobachtet beim Bundeskongress der Jusos am vergangenen Wochenende – mit knapp 300 ortsfremden Genossen, die Henning Scherf zwar mit stehenden Ovationen begrüßten und verabschiedeten, sonst am Wahlkampf aber nicht interessiert waren.

„Ich will, dass ihr euch freut“, hatte Henning Scherf zuvor den Jusos als Vision für den Abend des 25. Mai ausgemalt. Damit sie das auch wirklich tun, hatte er in der Welt am Sonntag nochmal bekräftigt, was in Bremen niemand mehr neu findet: Dass er nicht mehr zur Verfügung stehe, sollte die SPD nur zweitstärkste Kraft werden und auf rot-grüne Gedanken kommen. (siehe taz von gestern) Das war noch mal ganz klar das Signal vom Chef selbst: Leute, geht wählen, es ist wichtig. Denn aktuelle Umfragen zeigen inzwischen nicht nur die SPD nah an der CDU oder umgekehrt (Forsa: SPD 36, CDU 38 Prozent; ZDF-Politbarometer: SPD 38, CDU 36 Prozent). Sie offenbaren vielmehr auch, wie offen das Rennen noch sein kann: Fast die Hälfte der Wahlberechtigten ist laut Umfragen noch unentschieden.

Was aber, wenn Realität wird, was derzeit möglich scheint: dass die CDU tatsächlich vor der SPD liegt? Über Personalien werde man erst nach der Wahl reden, ließ gestern CDU-Fraktionschef Jens Eckhoff ausrichten. Und SPD-Fraktionschef Jens Böhrnsen teilte mit: An Spekulationen beteilige man sich nicht.

Wenn die CDU vor der SPD liegt, wenn Scherf dann wirklich nicht bereit wäre weiterzumachen oder die parteiinternen Henning-Zweifler laut würden – dann ist Rot-Grün eine wahrscheinliche Alternative. Doch selbst für Rot-Grün-Befürworter bei der SPD wäre das keine echte Freude: Als Wahlverlierer eine neue Koalition anzuführen „kann sich wirklich keiner wünschen“, sagt ein Eingeweihter.

Macht dagegen die SPD vor der CDU das Rennen, bleibt es wie es ist – es sei denn, beide Parteien verlören erheblich an Stimmen: Dann müssen beide Parteien die Frage beantworten, wie sie mit Wahlverlusten noch die Fortsetzung einer großer Koalition legitimieren wollen.

Für die CDU scheint die Situation verzwickt: Wird sie zu stark, könnte ihnen das SPD-Zugpferd Scherf abhauen. Zumal inzwischen unter Rot-Grün-Fans genau deshalb der Rat kursiert, am 25. Mai CDU zu wählen. Würde heißen, die CDU müsste ihren Wahlkampf ein wenig bremsen. „Wohl nicht Ihr Ernst“, sagt dazu amüsiert CDU-Mann Helmut Pflugradt, „wir kämpfen um jede Stimme.“ Alles andere, so der Wahlkampfmanager weiter, „wäre Harakiri.“ Helga Trüpel, Fraktionsvorsitzende der Grünen, findet die CDU-Strategie indes „nicht verwunderlich“: „Aus CDU-Sicht und so, wie Scherf sich gebärdet, ist das doch nur logisch.“ Susanne Gieffers