Politisch reisen und genießen

Zum Karneval nach Köln, Rhetorik für Frauen oder doch lieber Barmbek, ein Stadtteil im Aufbruch? Unter dem Titel „Politische Bildung“ versammelt sich ein Angebot, das zunehmend erlebnisorientiert und seicht konzipiert ist

Große Nachfrage besteht nach Seminaren, in denen es um Länder geht, die auch als Urlaubsländer beliebt sind

VON KENDRA ECKHORST

Eng bedruckt stapeln sich Veranstaltungshinweise übereinander, in blauer Schrift auf weißem Grund. Das Programm der Staatspolitischen Gesellschaft bietet Diskussionen zum Islam, schaut in der Hamburger Bürgerschaft vorbei oder wirbt für einen launigen Jahresrückblick 2008. Motto: „Sekt oder Selters, wir machen das Jahr rund“.

Die politischen Bildungsträger kämpfen um Mittel – und um ihr Publikum. Die Mehrzahl der Angebote setzt auf Informationen, die in Stadtrundgängen und „Vor-Ort-Terminen“ vermittelt werden. Mit weichen Themenzugängen soll Interesse geschaffen werden für die selbsterklärten Ziele der Bildungsträger: das Erlernen von Toleranz, von Kritikfähigkeit und aktiver BürgerInnenschaft.

Manche Bildungswerke stehen Parteien nahe: „Umdenken“ den Grünen, die Gustav Heinemann Bildungsstätte in Schleswig Holstein der SPD. Daneben tummeln sich freie und gewerkschaftliche Bildungsträger. Sie alle werden zum großen Teil aus Mitteln der Bundes- beziehungsweise Landeszentrale für politische Bildung finanziert.

„Die ausgewiesenen politischen Bildungsträger sind frei in ihrer Themenwahl“, sagt die Leiterin der Hamburger Landeszentrale für Politische Bildung, Sabine Bamberger-Stemmann. Die Landeszentrale setzte zwar Förderschwerpunkte und definiere die gesellschaftlich brennenden Fragen, doch sie lasse sich auch von den Angeboten der Bildungsträger inspirieren.

Dieses Verfahren läuft darauf hinaus, dass es eben doch die Landeszentrale ist, die entscheidet, welche Themen behandelt werden – und welche nicht. Zur Zeit stehen in Hamburg Migration, Nachhaltigkeit und politische Jugendbildung hoch im Kurs. Es geht um ein Jahresbudget von 980.000 Euro. Die Landszentrale achtet dabei darauf, dass die Seminare nicht vor leeren Bänken stattfinden: Die Veranstaltungen müssen angenommen werden, die Inhalte ansprechend vermittelt werden, sonst sieht es schlecht aus mit der Förderung.

Um an die Geldtöpfe der Landeszentrale zu kommen, muss die Form gewahrt werden. Nur anerkannte Bildungsträger können ein Jahresbudget beantragen. Dazu braucht es neben einer Büroadresse die telefonische Erreichbarkeit, die Gemeinnützigkeit als Verein und ein Qualitätssiegel, das von der Weiterbildung Hamburg e.V. vergeben wird. Mit dem Siegel wird etwa bestätigt, dass die Räume gut ausgestattet oder die DozentInnen ausreichend qualifiziert sind.

Studienleiter Daniel Roth von der Gustav Heinemann Bildungsstätte spricht von einem „aufwändigen und teuren Verfahren, das kleinere Anbieter vom Markt verdrängt“. Die der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie nahe stehende Institution ist nicht zertifiziert, dennoch erhält sie ihren Hauptteil aus den Mitteln der Bundeszentrale für politische Bildung, die offensichtlich andere Kriterien anlegt als die Landeszentrale. Ihre Themen legt die Heinemann Bildungsstätte selbst fest. „Wir machen den Trend zu weichen Themen nicht mit“, sagt Roth. Als „krasse Ausnahme in der klassischen politischen Bildung“ bietet die Bildungsstätte Seminare zu Hannah Arendt an, zur „Gerechtigkeit des Sozialstaats“ oder zu „Architektur und Diktatur“. Große Nachfrage besteht allerdings nach den Seminaren über die Länder, die auch als Urlaubsländer beliebt sind, sagt Roth. Aber auch Nischenthemen wie „Tod und Sterben in der Gesellschaft“ kämen gut an. Dies könne aber auch am Alter der TeilnehmerInnen liegen, das sich zwischen 40 und 65 Jahren eingependelt hat. Da sind sie „familienmäßig aus dem Gröbsten raus“, sagt Roth.

Ähnlich verhält es sich bei der Staatspolitischen Gesellschaft in Hamburg, deren Bildungsurlaube und Seminare von den zwischen 50 und 65-Jährigen aufgesucht werden. „Ausgebucht sind die Reisen nach Bratislava und St. Petersburg“, sagt Bettina Ulfert, zuständig für Anmeldungen. Aber auch nähere Ziele wie Meißen bei Dresden, wo neben dem politischen Werdegang der Stadt auch ein Besuch in der Porzellanmanufaktur vorgesehen ist, seien begehrt. Abgesagt werden musste dagegen das Seminar zur Wasserknappheit. „Vielleicht war es zu global angelegt“, sagt Ulfert.

Reisen kommen gut an, bloß zu nah darf es nicht sein. „Einen Bildungsurlaub in Hamburg will niemand machen“, berichtet Karin Heuer von Umdenken. Sansibar und Istanbul würden gerne besucht. Umdenken spricht jüngere Menschen an, neben Migrationsthemen bieten sie Politikmanagement-Seminare zu Rhetorik und Konflikttraining an. „Diese persönlichen Fortbildungen befähigen dazu, sich zu politisieren“, erklärt Heuer, die Übungen würden anhand politischer Beispiele wie dem Kampf um die Atomenergie durchgespielt. Dennoch lehnte die Landeszentrale die Förderung ab, da hier nur persönliche Fähigkeiten gestärkt würden.

Um genügend Menschen für ein Seminar zu begeistern, seien Prominente und Aktualität gut, sagt Heuer. Angebote in der Geschlechterdemokratie hätten offenbar keine respektablen FürsprecherInnen und würden verschmäht.

Den Umschwung bei der politischen Bildungsarbeit bekam auch die Neue Gesellschaft in Hamburg zu spüren. Ihre Seminare musste sie neu überdenken, nachdem im Jahre 2005 die Mittel der Landeszentrale um ein Drittel gekürzt wurden und der mit sozialdemokratischen und linken Zielen sympathisierende Verein in die Krise geriet. Nun habe man sich wieder gefangen, sagt Werner Hinze. „Nicht zu theoretisch und konkret vor Ort“ müssen die Angebote sein. Ein Renner seien die Medienseminare, in denen die Redaktionen von Spiegel und Zeit besucht würden. Themen wie Atomenergie und die Vergangenheit der DDR mussten dagegen abgesagt werden – wegen zu geringem Interesse.

Aber selbst die richtigen Lifestyle-Themen zu finden, ist gar nicht leicht. So musste die Volkshochschule Hamburg sogar eine Fahrt zum Kölner Karneval absagen. Wie sich die Rheinländische Identität zusammensetzt, interessierte nicht viele, obwohl an dem Seminar alles richtig war: Nicht zu theorielastig, mit deutlich erkennbarem Erlebnisfaktor und konkret vor Ort.

An Seminare, in denen es darum ginge, Stellung zu beziehen, ist da gar nicht zu denken.