Nur der Staat darf wegsperren

Niedersächsischer Staatsgerichtshof verwirft Privatisierung der psychiatrischen Landeskrankenhäuser. Allein demokratisch legitimierte Bedienstete dürfen Grundrechte einschränken. Kläger SPD und Grüne sprechen von einem vollen Erfolg

VON GERNOT KNÖDLER

Nur der Staat darf Kranke und Gewalttäter zwangsweise in der Psychiatrie unterbringen. Darauf hat der Niedersächsische Staatsgerichtshof am Freitag in einem Urteil zur Privatisierung der psychiatrischen Landeskrankenhäuser hingewiesen (Az. StGH 2/07). Die Übertragung von Aufgaben des Maßregelvollzugs (Sicherungsverwahrung) und der Unterbringung psychisch Kranker auf private Gesellschaften verstoße gegen das Demokratieprinzip der Landesverfassung, urteilten die Richter. Geklagt hatten Abgeordnete der Oppositionsfraktionen SPD und Bündnis90 / Die Grünen.

Die von CDU und FDP gewählte Landesregierung hat im vergangenen Jahr acht psychiatrische Landeskrankenhäuser für insgesamt 107 Millionen Euro verkauft. Den Zuschlag erhielten private Klinikkonzerne, aber auch Kirchen und die Arbeiterwohlfahrt. Das entlastete einerseits den Haushalt und andererseits die Landesregierung von der schmerzhaften Verantwortung, die Häuser sanieren zu müssen. Lediglich die Häuser, die ausschließlich seelisch kranke Straftäter betreuen, behielt das Land.

Der Verkauf war von vielen Experten bereits im Vorfeld als verfassungswidrig oder gefährlich bezeichnet worden. Eine Sicherungsverwahrung anzuordnen sei „der massivste Eingriff des Staates in die Rechte der Betroffenen“, hatte etwa der Strafrechtsexperte Helmut Pollähne von der Universität Bremen bei einer Anhörung des Landtages gewarnt. Diese Rechte dürfe der Staat nicht aus der Hand geben.

Der Staatsgerichtshof sah das ähnlich: „Die neuen Regelungen verstoßen gegen das Demokratieprinzip, weil die staatlichen Aufsichtsbehörden keinen Einfluss auf die Auswahl der Bediensteten privater Gesellschaften haben, die über grundrechtseinschränkende Maßnahmen entscheiden“, argumentierte das Gericht. Der Bedienstete, der solche gravierenden Entscheidungen treffe, müsse persönlich demokratisch legitimiert – das heißt de facto: von der Landesregierung bestellt – sein. Zudem müsse die staatliche Fachaufsicht direkt auf ihn durchgreifen können.

Das Urteil sei „wie wir es erhofft haben“, gesprochen worden, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Uwe Schwarz. „Es geht um einen Kernbereich des staatlichen Gewaltmonopols.“ Am schärfsten zeichne sich das Problem im Falle der Unterbringung psychisch Kranker ab: Es könne nicht sein, dass unbescholtene Bürger ohne staatliche Legitimation festgehalten würden.

„Wir fühlen uns voll bestätigt“, kommentierte auch die stellvertretende Grünen-Fraktionschefin Ursula Helmhold. Wie ihr SPD-Kollege Schwarz hält sie die Umsetzung der Gerichtsurteils für schwierig, wenn zugleich an der Privatisierung der Krankenhäuser festgehalten werden soll. „Das könnte dazu führen, dass die Privaten sagen: So wollen wir das nicht mehr“, sagte Helmhold.

„Es geht hier ausschließlich um Nachbesserungen“, konterte Thomas Spieker, der Sprecher des Niedersächsischen Sozialministeriums. „In den Verträgen mit den Betreibern steht, dass der Staat möglicherweise intensiver durchgreifen muss.“

Der Ministeriumssprecher gab sich zuversichtlich, dass die nötigen Änderungen „in den nächsten Monaten“ in die Gesetze eingearbeitet werden könnten. Nach Ansicht Spiekers hat das Urteil möglicherweise eine Präzedenzwirkung – zum einen für andere Bundesländer, zum anderen für eine Reihe privater Kliniken im Land, die seit Jahrzehnten psychiatrische Einrichtungen betreiben.

Der Staatsgerichtshof hat dem Landtag aufgegeben, die einschlägigen Gesetze bis spätestens Ende 2010 zu ändern. Bis dahin gelte weiter die bestehende Rechtslage. Eine Aufhebung der Privatisierungsgesetze würde den „Rechtszustand in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht verbessern, sondern verschlechtern“, argumentierte das Gericht.