Import aus der fernen Heimat

Der Mann mag wohl im Zentrum der Handlung stehen, doch das Sagen haben die Frauen: „Türkisch für Anfänger“ in der Neuköllner Oper nach Mozart und Sinem Altan

Es hat etwas dezent Subversives, wie die Neuköllner Oper auf Plakat und anderem Marketingpapier das schöne Gesicht von Kerem Can in Szene setzt. Can spielt die männliche Hauptrolle in „Türkisch für Liebhaber“, der neuesten Produktion an der Karl-Marx-Straße. Dass sein Konterfei omnipräsent als Werbeträger eingesetzt, dabei aber gern angeschnitten oder zerschnipselt dargeboten wird, spiegelt die programmatische Ausrichtung dieser Wiedergeburt der „Türkenoper“ im Geiste Neuköllns.

Der Mann mag wohl im Zentrum der Handlung stehen, doch ist er vor allem eines: Objekt der Begierde. Das Sagen aber haben die Frauen. Und auch beim Singen liegen sie vorn.

Dass Mozart Musik zu einem Schikaneder-Singspiel mit dem Titel „Der wohltätige Derwisch“ hinterlassen hat, ist wenig bekannt. Die Neuköllner Oper, wieder einmal musikarchäologisch tätig, hat das obskure Werk dem Vergessen entrissen, um es zum Anlass einer neuen Positionsbestimmung zu nehmen. Zwei junge deutschtürkische Künstlerinnen wurden beauftragt, die Partitur zu entrümpeln. Die Autorin Dilek Güngör und die erst 23-jährige Komponistin Sinem Altan haben sie auseinandergenommen und mit neuem Material fusioniert. Herausgekommen ist ein schillernder Genremischling, eine Art Begegnung von „GZSZ“ und „Così fan tutte“, von Søren Schuhmacher mit leichter Hand inszeniert.

Die Handlung hat klassischen Komödienzuschnitt: Der fesche Ercan kommt für ein Architektur-Praktikum aus Ankara nach Berlin und gerät in ein Netz aus Begehrlichkeiten. Sein Onkel, dessen Gattin ihn stets bevormundet, will den Jungen unbedingt verheiraten, um ihm so einen deutschen Pass verschaffen und sich als Wohltäter gerieren zu können. Derweil findet Ercan sich schon zwischen drei vielversprechenden Frauen.

Während die intellektuelle Mine, eine Deutschtürkin, die ihre türkischen Wurzeln aus prinzipiellen Gründen ablehnt, zunächst die Kratzbürste gibt, baggert die freizügige Sinem den aus der fremden Heimat Importierten unverhohlen an. Auch Ercans deutsche Architektenkollegin Kati übt sich schon mal im Bauchtanz.

Trotz aller Irrungen und Wirrungen bricht sich schließlich die wahre Liebe Bahn, da eben das in der Natur des Genres liegt. Bis dahin wird man abwechslungsreich musikalisch unterhalten. Sinem Altan hat Mozarts Musik neu instrumentiert und das souverän agierende kleine Kammerorchester um traditionelle türkische Instrumente erweitert. Es ist bestimmt noch nicht oft vorgekommen, dass auf der Saz oder dem Kanun eine Mozart-Oper gespielt wurde. Umgekehrt ist ebenso das komplette Ensemble im Einsatz, wenn es gilt, die türkischen Gesangsnummern zu begleiten. Dass man sogar populäre Titel von Sezen Aksu oder Zülfü Livaneli in die Aufführung implantiert hat, ist – Stichwort Positionsbestimmung – sicher dem Wunsch geschuldet, auch türkisches Publikum anzuziehen.

Die Sängerin Begüm Tüzemen hat ein paar starke Auftritte, für die sich der Weg auch für opernferne Zeitgenossen lohnt. Aline Vogt als Mine singt die sehnsuchtsvollen Mozart’schen Sopranpartien mit zu Herzen gehender Intensität. Und wenn sich die Handlung zum dramatischen Ende hin schürzt und Mozart und Schikaneder mit ihrem Rokoko am Ende sind, mündet der nummernhafte, boulevardeske Gestus des Singspiels in ein auskomponiertes, modernes dramatisches Musiktheater. Sinem Altan lässt alle Stimmen, jede noch in ihrer eigenen Geschichte gefangen, in einen spannungsreichen Dialog treten.

Das Finale, wie schön, vereint sie alle. Und das ist weit mehr als eine ironische Reverenz an eine totgeglaubte Opernkonvention.

KATHARINA GRANZIN

Nächste Vorstellungen: 6. 12., 7. 12., 11. – 14. 12., jeweils 20 Uhr in der Neuköllner Oper