Ende des DDR-Traumschiffs

Er war nicht schön, aber symbolträchtig. Nun ist er weg, der Palast der Republik. Nach drei Jahren Abrissarbeit, die spektakuläre Stadtansichten bescherten, ist Platz für Neues entstanden

Tatsächlich war der Palast einmalig auf der Welt. Wie ein leuchtendes DDR-Traumschiff lag er vertäut am Ufer der Spree

VON MORITZ HOLZFELDER

Es war, als hätte der Palast ein letztes Mal stummen Widerstand geleistet und wie schon so oft zuvor versucht, die Chronik seines angekündigten Verschwindens in die Länge zu ziehen. Vor allem mit den überraschenden Asbestfunden in seinen vielen Ecken und Winkeln hat er die Abrissarbeiten immer wieder behindert, hat sie auf drei Jahre ausgedehnt, wo die Baustelle doch eigentlich schon im Frühjahr 2007 hätte geräumt werden sollen. So bot er den Berlinern und allen Touristen eine großartige Last Picture Show mit surrealen Rahmungen des Stadtraums und dramatischen Durchblicken.

Manchen Betrachter mag das Gefühl beschlichen haben, er sei durch Raum und Zeit auf das brachliegende Ruinenfeld einer kriegsversehrten Stadt gebeamt worden. Dabei wurde der Palast ganz behutsam abgewickelt, wie mit der Pinzette eher unspektakulär abgetragen, im Rahmen des selektiven Rückbaus: So nannte man die Entsorgung des DDR-Repräsentationsgebäudes mildernd und mitunter auch verwirrend.

Bizarr standen in den letzten Monaten die acht verbliebenen Treppentürme auf dem weiten Grund, schlanke Betonstelen, die an die Geschlechtertürme der toskanischen Stadt San Gimignano erinnerten, nur dass man sich dort gegenseitig in der Bauhöhe übertrumpfen wollte und in Ostberlin alles auf das sozialistische Gleichmaß beschränkt war. Am Ende ging es doch noch zur Sache: Ein Bagger mit einem spinnengliedrigen Ausleger kam und stutzte mit seinen nagenden Stahlschneiden alles, was noch aus der Schlossplatzbrache hervorstach, zu unförmigen Trümmerbergen zurück. Erstmals war die Wucht eines Abrisses zu spüren – bis eben der Bagger kaputtging.

Die Inszenierung hätte symbolischer nicht sein können. Nur ein paar Meter weiter, im Kronprinzenpalais Unter den Linden, wurde am Freitag letzter Woche der Sieger des Wettbewerbs für die Rekonstruktion des Berliner Schlosses gekürt – und auf dem Schlossplatz selbst wäre zu jener Zeit der letzte Turm des umstrittenen Vorgängerbaus gefallen. Erst am Dienstag dieser Woche war es dann so weit. Kein Stein mehr auf dem anderen.

Aber irgendwo unter der Erde liegt nach wie vor die Gründungskassette, der metallene Zylinder, den Erich Honecker am 2. November 1973 in der Betonwanne des Palastes versenkte, jenem Fundament, das einmal das neue alte Schloss tragen wird. Dazu sprach er die hehren Worte: „Dieser Palast soll ein Haus des Volkes werden, die Stätte verantwortungsbewusster Beratung der höchsten Volksvertretung unseres Arbeiter-und-Bauern-Staates, ein Ort wichtiger Kongresse und internationaler Begegnungen. Unsere sozialistische Kultur wird hier ebenso eine Heimstatt finden wie Frohsinn und Geselligkeit der werktätigen Menschen.“ Tatsächlich war der Palast ziemlich einmalig auf der Welt, als Parlamentsgebäude mit Gemäldegalerie, Bowlingbahn, Jugendclub, insgesamt 13 gastronomischen Einrichtungen und einem Mehrzwecksaal, der aufgrund seiner Variabilität bis zum Schluss als Wunderwerk der Technik galt. Wie ein leuchtendes DDR-Traumschiff lag er vertäut am Ufer der Spree.

Der Rest der Republik, außerhalb Berlins, wollte das nicht immer anerkennen, nannte das Gebäude schon auch mal Ballast der Republik. Schließlich verschlang das luxuriös eingerichtete Haus Geld, das anderswo fehlte. Zur großen Eröffnungsgala am 23. April 1976 kamen internationale Stars, von Juliette Greco über Tony Christie bis zu Katja Ebstein, die am Tag danach von der Bild als linke Bazille abserviert wurde. Viele kamen – von Udo Lindenberg über Loriot, Miriam Makeeba und Joan Baez bis zu Carlos Santana. Das im Haus verbaute Asbest, das von der wiedervereinigten Politik 1990 als argumentativer Anfang für das Ende benutzt wurde, rieselte zwar bei manchen Konzerten aus dem Schnürboden des Großen Saals, aber es hätte andere Möglichkeiten gegeben als die Totalsanierung und den Abriss.

Zwischen 2003 und 2005 erlebte der Palast dann noch das Wunder der Zwischennutzung, und der norwegische Künstler Lars Ramberg setzte dem maroden Gebäude in einer genialen Intervention das riesige Wort ZWEIFEL als Krone auf die Dachkante. Doch die letzten Chancen einer Umkehr von den Plänen, das Schloss wieder aufzubauen, verstrichen ungenutzt. Die Politiker im Bundestag hatten wohl nie die ganze Wahrheit des Ortes erfasst, denn die Bedeutung des Palastes als offizieller DDR-Repräsentationsbau war über die recht kurze Dauer der 14 Jahre seines Betriebs merklich geschwunden.

Tatsächlich hatte sich das Volk das Haus erobert. In den Achtzigerjahren gaben hier Punkbands illegale Konzerte, und es wurden lange verbotene Theaterstücke uraufgeführt. Zum 40. Staatsgeburtstag der DDR war der Palast von Demonstranten umstellt, später wurde hier die deutsche Wiedervereinigung beschlossen.

Trotzdem galt das Gebäude als architektonisches Zeichen einer untergegangenen Diktatur. Dass es mehr war als das, wollte bald keiner mehr wissen. Der Palast ist gewichen, nicht, weil ihn das Volk nicht wollte, sondern die Vertreter unserer parlamentarischen Demokratie nichts mit ihm verbanden. Das Humboldt-Forum kommt – schon 2013 soll der Mehrzweckbau hinter seiner historischen Schlossfassade stehen. Bisher als sterile Konsensarchitektur, die den Ort historisch entwertet. Der Palast war vielleicht nicht schön gewesen, aber doch ein wichtiges Symbol deutscher Geschichte. Wie kaum ein anderes in diesem Land.

Moritz Holzfelder ist Autor des im Ch. Links Verlag erschienenen Buches „Palast der Republik. Aufstieg und Fall eines symbolischen Gebäudes“. Berlin 2008