„Viele haben gesagt, dass ich verrückt bin“

Oscar Bronner war die „New York Times“ gewohnt und konnte Österreichs Zeitungen nicht mehr ertragen. Deshalb gründete er eine eigene – den „Standard“. Zeitungen, sagt er, werden schrumpfen. Aber sie haben einen großen Vorteil gegenüber dem Internet

Geboren: 14. Januar 1943 in Haifa, Palästina. Sein Vater, der Kabarettist Gerhard Bronner, war 1938 vor den Nazis nach Palästina geflüchtet. 1948 Übersiedlung bzw. Rückkehr nach Wien. Ist: Gründer des österreichischen Wirtschaftsmagazins trend und des Nachrichtenmagazins profil (beide 1970 gestartet) sowie Herausgeber der 1988 von ihm gegründeten österreichischen Tageszeitung Der Standard – zunächst mit Springer-Beteiligung. Außerdem Maler. 1974 verkaufte er seine Magazine und lebte als Künstler in New York. Besondere Kennzeichen: Gehört zu jener Gruppe von Künstlern und Intellektuellen, die ab Anfang der 70er tatsächlich im legendären Café Hawelka im 1. Bezirk rumsaßen und so einiges ausbrüteten. Unter anderem saßen dort auch Bernhard, Heller, Danzer, Ambros.

Zum taz-Gespräch empfing Oscar Bronner taz-Autor Robert Misik im Standard-Haus vis-à-vis des Cafés Central in Wien. Bronner erwies sich als fast so etwas wie scheu. „Ich bin ein zurückhaltender, eher privater Mensch – wahrscheinlich mache ich es mir damit schwerer“, sagte er einmal. Er rauchte Zigarillos. Misik bemühte sich, pro Stunde nicht mehr als fünf Zigaretten zu rauchen.

Interview Robert Misik taz: Herr Bronner, Ihre gerade erschienene Biografie heißt: „Trotzdem“. Toller Titel. Aber sagen Sie: Wieso „trotz“?

Oscar Bronner: Da müssen Sie die Autoren fragen, der Titel ist nicht von mir.

Wenn ich Sie nötigen könnte, den Titel zu interpretieren. Was ist das „Trotzdem“ der Oscar-Bronner-Story?

Dass es mir gelungen ist, diese Medien zu gründen – das profil, den trend, den Standard – trotz der Widrigkeiten, mit denen ich konfrontiert war.

Welche Widrigkeiten?

Als ich trend und profil gegründet habe, da kamen ich und mein Team mit zwei frechen Zeitschriften, die man nicht einordnen konnte – in einer Zeit, in der jede Zeitung einem politischen Lager zugeordnet werden konnte. Man hat uns mit viel Misstrauen und Verdächtigungen begrüßt – weil man annahm, es kann doch nicht sein, dass wir keine Einflüsterer und mächtigen Gönner haben. Die politische Nomenklatura hatte sich mit der bisherigen Situation ja sehr wohl gefühlt. Mit uns hat sie sich nicht so wohl gefühlt, und das haben wir zu spüren bekommen.

Die Medienkultur krankte am Parteieneinfluss?

Der andere Aspekt war: Es gab den Qualitätssektor praktisch nicht. Da war das Auftauchen von profil ein Kulturschock.

Sie sind der Sohn von Gerhard Bronner, einem legendären Kabarettisten, Sänger, Chansonnier. War das schwierig, der Sohn eines berühmten Mannes zu sein?

Es gab ein paar Leute, die mich bedauerten für dieses Problem, das ich doch eigentlich haben müsste – aber ich hatte damit nie ein Problem.

Sie sind mit ihren Eltern nach Hamburg gegangen, später als Gymnasiast nach Bonn. Dort haben sie den Spiegel gelesen. Eine Prägung fürs Leben?

Na ja, es gibt viele Einflüsse. Der Spiegel wurde für mich erst wichtig, als ich – ein paar Jahre später – Journalist wurde. Das war für uns Junge der Journalismus, wie wir ihn auch machen wollten.

Das Wirtschaftsmagazin trend war für Sie das Zugpferd, aber sie haben immer schon im Kopf gehabt, das profil zu gründen?

Der trend war die Startrampe, um eine Basisredaktion zu schaffen, eine Infrastruktur, eine Anzeigenabteilung, einen Verlag – was man halt so braucht.

Viele sollen gesagt haben, der ist verrückt.

Viele haben das gesagt.

Getragen war es vom Geist von Achtundsechzig. Lupenreiner Linker waren Sie aber nie?

Ich war politisch immer ein Liberaler, aber eher links der Mitte sozialisiert. Achtundsechzig hat in Österreich schaumgebremst stattgefunden, aber es ging an Wien auch nicht vorbei. Ich habe Soziologie studiert, viele meiner Freunde waren in aufmüpfigen Kreisen. Wir saßen im Café Hawelka herum. Es gab da den Rolf Schwendter, Robert Jungk war eine Figur, der Qualtinger, der André Heller. Der Karl Schwarzenberg, der heutige Außenminister Tschechiens. Auch der Elias Canetti kam vorbei, wenn er in Wien war. Gleichzeitig war es sehr diffus, und ich habe überall ein bisschen aufgeschnappt. Ich war überall ein bisschen dabei, aber nirgends ganz. Ich bin nirgendwo Mitglied geworden.

Den Qualtinger kannten Sie schon aus ihrer Kindheit. Ihr Vater hat ihn in ihrem Kinderzimmer einquartiert.

Ich habe ihn sehr gemocht. Er sprach mit mir wie mit einem erwachsenen Menschen, obwohl ich ein Kind war. Das schätzt man als Kind.

Haben Sie sich eigentlich als Entrepreneur gesehen, der Lust an der riskanten Unternehmung hat? Oder eher als Journalist, der Unternehmer werden muss, damit er so arbeiten kann, wie er will?

Ich hab mich primär als Journalist gesehen. Ich hatte nie eine kaufmännische Funktion in einem Verlag. Bilanzen kann ich bis heute nicht richtig lesen.

Gleichzeitig sind Sie wie eine Idealfigur aus dem Schumpeter’schen Lehrbuch über den Unternehmer, in dem dessen „Willenseigenschaften“ und die „Tatkraft“ besungen wird. Gibt es einen Typus, der Risiken eingeht, vor denen andere zurückschrecken? Gibt’s ein Unternehmer-Gen?

Ob es ein Gen ist? Na, ich weiß nicht. Eigentlich habe ich es mir gar nicht zugetraut, ich wollte ja anfangs andere überreden, das zu machen. Alle sind abgesprungen, also habe ich mir halt gesagt, ich muss selbst ins Wasser springen. Ich war 26 Jahre alt, hatte eine gewisse Naivität, habe viele Klippen nicht gekannt, die mich erwarten würden.

Eine Nummer des profils wurde gleich zweimal beschlagnahmt.

Wir wurden ziemlich regelmäßig beschlagnahmt, was unseren Bekanntheitsgrad gefördert hat. Aber es war jedes Mal eine Überlebensfrage. In der Frühzeit des profils gab es einen neuen Bürgermeister, der bisher die graue Eminenz der sozialdemokratischen Partei war. Wir haben ihn mit einem gar nicht unfreundlichen Artikel begrüßt, in dem aber auch der undurchsichtige Graubereich der Stadtverwaltung geschildert wurde.

Und?

Daraufhin hat er uns beschlagnahmen lassen. Danach kamen von überallher Dossiers von Personen, die Leidtragende dieser Situation waren. Es gab da diese Stimmung: Endlich haben wir eine Zeitschrift, die sich traut, die Dinge zu veröffentlichen.

Aufdecken war damals noch einfach – man musste nur morgens den Postkasten öffnen?

Man musste schon nachrecherchieren und die Dinge beweisbar machen. Man hat ja auch versucht, uns Kuckuckseier zu legen.

Sie haben das profil bis 1974 geführt, dann wurden Sie doch in die Knie gezwungen.

Wir haben von der Hand in den Mund gelebt. Nach einiger Zeit hat es aber nach Erfolg ausgesehen. So kamen die großen Player am Markt auf die Idee, selbst so etwas zu machen. Die eine Konkurrenz hat ein Wirtschaftsmagazin gegründet und meine Wirtschaftsredaktion abgeworben, andere wollten ein politisches Magazin gründen. Ich habe gesehen, das halte ich nicht mehr lange durch. Dann kam das, was man so ein Angebot nennt, das man nicht ablehnen konnte.

Das profil lebte weiter, Sie waren reich – ein Sieg oder eine Niederlage?

Ich habe das natürlich als Niederlage erlebt. Ich habe den Verlag ja nicht gegründet, um ihn zu verkaufen.

War das profil hinterher noch das profil ?

Es ist weitgehend das Magazin geblieben, das ich mir vorgestellt habe. Der gegenwärtige Eigentümer ist die Raiffeisen-Organisation. Wenn es mir noch gehören würde, könnten auch kritische Artikel über die Raiffeisen erscheinen, aber das sind Details.

Danach wollten Sie ein halbes Jahr nach Amerika gehen?

Ich habe ja noch eine zweite Seite, ich bin Maler und Bildhauer. Ich habe die Chance gesehen, auch das einmal auszuleben. Ich hatte den Plan, ein halbes Jahr in New York zu leben. Nach dreizehn Jahren bin ich draufgekommen, dass das halbe Jahr vorbei ist.

Da waren Sie gleich bei Leuten wie Jacqueline Kennedy Onassis oder Leonard Bernstein zu Hause?

Na, ich war nicht der engste Freund der Jackie Kennedy oder des Lennie Bernstein. Aber ich habe viele interessante Leute kennengelernt, man wird schnell rumgereicht, das macht ja auch die Faszination von New York aus. Ich hatte aber nie die innere Absicht auszuwandern. Das Englische ist nie ganz meine Sprache geworden. Bei jedem wichtigeren, komplizierteren Gespräch habe ich gemerkt, dass ich nie genau das sagen kann, was ich eigentlich sagen will.

Nach Wien, haben Sie mal gesagt, kommt man zurück, geht ins Hawelka und setzt das Gespräch fort, das man vor einem halben Jahr begonnen hat. Ist das nicht auch furchtbar?

Das hat etwas Erschreckendes, wenn man hier immer lebt. Aber für mich, der ich in New York gelebt habe, war das etwas sehr Heimeliges.

Kaum retour in der Stadt, gründen Sie 1988 gleich eine Tageszeitung – den Standard . Warum?

Ich habe nicht nur 13 Jahre in New York gelebt, ich habe auch 13 Jahre mit der New York Times gelebt – meiner Meinung nach der besten Tageszeitung der Welt. Die Vorstellung, ich muss die NYT gegen die damals vorhandenen österreichischen Tageszeitungen eintauschen, war nicht sehr erfreulich. Ich habe den Eindruck gewonnen, die Zeit könnte reif für eine gute Tageszeitung sein.

Die konnten nur Sie machen?

Ich hatte wieder nicht die Absicht, das selbst zu machen. Ich habe ein paar Freunde zu animieren versucht. Die waren angetan, haben mich aber gebeten, mitzumachen. Am Ende sind die abgesprungen und ich stand wieder einmal allein da. Also habe ich mich überredet, das selbst zu machen. Als ich den trend und das profil gründete, dachte ich, das sei eine Lebensentscheidung. Als ich den Standard gründete, dachte ich mir, ich mache das vier, fünf Jahre.

Es kommt immer anders, als man es denkt?

Ich habe mittlerweile aufgegeben, Pläne zu machen, die dann ohnehin von der Realität durchkreuzt werden. Grundsätzlich ist die Gründung einer Tageszeitung natürlich ein viel größeres Ding. Der Kapitalbedarf ist gigantisch, der gesamte Apparat ist eine andere Schuhgröße.

Was waren die schwierigsten Phasen?

Es gab nur schwierige Phasen. Anfangs war der Springer-Verlag mein Partner und die Zusammenarbeit mit dem war schwierig. Nicht aus inhaltlichen Gründen – die haben sich da völlig rausgehalten –, aber Springer war in Managementturbulenzen. In den sechseinhalb Jahren unserer Zusammenarbeit gab es vier verschiedene Vorstandsvorsitzende und fünf Vorstandsmitglieder, die für uns zuständig waren. Es war halt ein Pech. Ich habe Springer dann mit einem Bankkredit rausgekauft.

„1968 ging auch an Wien nicht vorbei. Der Jungk, der Qualtinger, der André Heller: Wir saßen alle im Café Hawelka herum“

Dadurch wurde aber auch nicht alles gut?

Die Bank hatte Interessen. Sie hat die Zeitung übernehmen wollen. Was da wirklich gelaufen ist, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht wollte man einer anderen Bank einen Gefallen tun, jener Bank, die zufällig Eigentümer eines Hauptkonkurrenten war.

Mit derStandard.at haben Sie auch eine Internetpräsenz, die Marktführer in Österreich ist. Haben Tageszeitungen noch eine Chance?

Die Rolle des Internets im Medienkonzert wird immer wichtiger. Aber die Tageszeitung wird weiter eine Rolle spielen – wenn sie sich auf das neue Umfeld einstellt. Die gedruckte Zeitung hat viele Vorteile gegenüber dem Internet.

Welche?

Etwa: Sie ist endlich. Man ist irgendwann mit ihr fertig. Die Qualitätszeitungen dürfen nicht mehr der letzten Nachricht nachhecheln, sondern sie müssen Kommentare, Analysen, gut geschriebene Reportagen bringen. Aber auch bei den Zeitungen, die es schaffen, werden die Auflagen schrumpfen. Sie werden lernen müssen, mit weniger Geld auszukommen.

Sie müssen mit weniger Geld bessere Qualität liefern? Klingt nach Quadratur des Kreises.

Klar, einfach zu sagen, es geschieht am Tag genug, um die Tageszeitung zu füllen – so einfach kann man es sich nicht mehr machen. Falls es je so einfach war.

Sie sagten mal: Ich habe nicht die Illusion, dass man als Journalist etwas verändern kann. Haben Sie den Eindruck, Sie hätten nichts verändert?

Ich habe Medien gegründet, aber ich habe nicht die politische Landschaft verändert. Das wollte ich ja auch gar nicht. Ich will mithelfen, dass mündige Menschen mündiger werden.

Sie selbst schreiben fast nie. Warum?

Ich bin für eine Tageszeitung ungeeignet, weil ich viel zu langsam schreibe. Ich bin aber auch sehr von der angelsächsischen Rolle des Chefredakteurs beeinflusst, der meist nicht schreibt, aber seinen Mitarbeitern zur Verfügung steht. Das ist eine sympathische Tradition, die sehr mit meinem schreiberischen Nichttalent harmoniert.

Gibt es noch eine Herausforderung, die Sie reizen würde?

Ich möchte wieder Bilder malen.

Gar nichts mehr gründen?

Ich habe immer nur die Medien gegründet, die ich selber lesen wollte. Und die gibt’s jetzt schon.