Geliebt und ausgeliefert

Wenn Männer Purcell tanzen: „Les Ballets C. de la B.“ schlagen Wunden und Purzelbäume

Die Kultur-Deputation war nicht vollständig anwesend? Schade. Wieder eine Aufführung im Rahmen von „Tanz Bremen“, deren überspringende Energie und Vitalität man viel öfter als nur im Zweijahres-Rhythmus braucht – auf den der politische Wille das Festival reduziert hat.

In den komplett offen gelegten Innereien des Schauspielhauses, an den Wänden prangt noch das von Kresnik verspritzte Vogeler-Blut, hat Koen Augustijnen ein echtes Jungs-Stück zur deutschen Erstaufführung gebracht: „bâche. Britten Covers“.

Unter der namensgebenden Plane lugt ein Flügel hervor, auf dem Guy Van Nueten die Musik, nein, nicht Brittens, sondern von dessen Landsmann Henry Purcell covert. Mit Elektronik covert, versetzt, aber auch zur original-barocken Aufführung bringt. Dafür hat sich der hervorragende Countertenor Steve Dugardin unter die Tänzer gemischt.

Purcells ebenso abstrakter wie elementarer Weltschmerz trifft auf fünf völlig verschiedene Typen, die Augustijnen im Rahmen der Tanzplattform „Les Ballets C. de la B.“ zusammen gesucht hat. Den belgischen Choreografen interessieren die „Verwundbarkeiten der Männer“ – weswegen er nicht zuletzt das Schlagen von Wunden zeigt.

Was den äußeren Formen nach manchmal wie ein Gang durchs Arsenal der Theater-Aufwärmübungen erscheint, erweist sich also als ein zutiefst gewalttätiges Stück. Dessen Thema: Die Verfügung über den Körper des anderen. Das kann à la Marionette, also auf Entfernung, geschehen oder über die Gesichtsfessel, an der Ghislain Malardier durch den Raum geschleudert wird. Malardier, ausgebildet an einer französischen Zirkusschule, setzt das in beeindruckende Bühnenakrobatik um – aber das Bild der ausgelieferten Physis geht tief. Wie auch Ted Stoffers zunehmend verzweifelter Versuch, sich aus einer Umarmung zu lösen. Oder die zärtlichen Pietà-Posen, aus denen ein immer gewagteres human walking entsteht.

Übrigens: Das Stück ist lustig – immer wieder mal. Und gesprochen wird auch, wobei sich die Gefühlslagen dann besonders mischen. Augustijnen: „Ich kann Hühner hypnotisieren. Ich habe zwei Autos zu Schrott gefahren und wurde einmal vergewaltigt.“

Tayeb Benamaras Bühnenrand-Bekenntnis erzählt von seinen total verschleierten algerischen Verwandten. Daraufhin inszeniert der Tänzer einen Strip – was zunächst wieder nach ironischer Brechung aussieht. Aber je nackter Benamaras Körper wird, desto lauter schreit er seine Verwundbarkeit heraus. Und wenn er dann in Stroboskop-Technik über die Bühne zuckt, halb versteckt hinter dem überirdische Klänge verbreitenden Counter, entsteht eine derart berührende Sequenz, das man heulen könnte. Henning Bleyl