Greenspan züchtet neue Blasen an der Börse

US-Notenbank muss Zinsen anheben, will sie einen neuen Börsen-Crash vermeiden, meint Wall-Street Banker Roach

NEW YORK taz ■ Die Kritik an Alan Greenspan, Chef der US-Notenbank, wächst. Der jüngste Vorwurf: Seine Niedrigstzinspolitik – der Leitzins liegt derzeit bei 1,0 Prozent – sei ein schwerer Fehler, denn sie könne zu neuen Blasen auf dem Markt führen. Zumindest behauptet das Stephen Roach, der Chef-Ökonom der Investment Bank Morgan Stanley, in einem offenen Brief an den wichtigsten Notenbanker der Welt.

„Die Zinsen auf dem Niedrigststand zu halten bringt großen Ärger“, warnt Roach. Der als äußerst pessimistisch bekannte Wall-Street-Stratege gibt zwar zu, dass die niedrigen Zinsen nötig waren, um die angeschlagene amerikanische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Doch obwohl sie inzwischen wieder kräftig wachse, halte Greenspan den Leitzins unverändert auf dem Niedrigstniveau. Durch diese Geldpolitik könnten sich neue Spekulationsblasen auf dem Markt bilden. Das heißt, animiert durch den niedrigen Zinssatz könnten Investitionen getätigt werden, ohne dass die notwendige Nachfrage gesichert ist. Würde diese dann ausbleiben, ginge es mit den Börsenkursen massiv bergab. Zur Vermeidung dieser Gefahr müsse der Leitzins drastisch auf 3,0 Prozent erhöht werden. Und zwar sofort. Denn erste Anzeichen neuer Ausschweifungen machten sich bereits bemerkbar.

Besonders gefährdet seien der amerikanische Immobilienbereich, die Anleihemärkte und die Technologieaktien, deren Preise im letzten Jahr enorm gestiegen seien. Die niedrigen Zinsen hätten auch die Hauspreise im vierten Quartal des letzten Jahres um 14,7 Prozent nach oben gedrückt. Damit seien vier Jahre nach dem letzten Börsen-Crash bereits neue Blasen aufgetaucht.

Ein weiteres Problem: Die Niedrigstzinsen seien nicht die richtige Waffe, mit der Greenspan und seine Truppe neue Probleme erfolgreich bekämpfen könnten. Denn: „Wie im Krieg, so ist auch ist es auch eine Regel der Stabilisierungsmethoden, dass einem nie die Munition ausgeht“, schreibt Roach. Genau das passiere aber, seit Greenspan die Zinsen auf den Niedrigststand gedrückt habe. Vor vier Jahren habe die US-Notenbank bei einem Zinssatz von 6,0 Prozent noch 600 Basispunkte zur Verfügung gehabt, um den Schaden einzudämmen, den der Crash verursacht habe. Heute ständen ihr mit 1,0 Prozent aber nur noch 100 Basispunkte zur Verfügung. Sein Rat: Greenspan solle die Kanone laden und sich auf die nächste Schlacht vorbereiten. Denn die käme bestimmt. Auch solle sich Greenspan, dem schon öfter eine zu große Nähe zur Regierung nachgesagt wurde, in seinen Entscheidungen nicht von Politikern beeinflussen lassen. Natürlich würden diese bei höheren Zinsen auf die Barrikaden gehen – besonders im Wahljahr. Doch Roach weist darauf hin, dass die US-Notenbank eine unabhängige Institution sei. Deshalb zähle für Greenspan nur eines: „Er muss das Richtige tun, und nicht, was politisch korrekt ist.“

Und mit einer Inflation lauere schon die nächste Gefahr, prophezeit Roach. Den Kampf könne Greenspan aber auch gewinnen. Sein Vorgänger Paul Volcker sei das beste Beispiel. Bereits vor zwanzig Jahren habe der Ökonom die Inflation durch höhere Zinsen in den Griff bekommen.

HEIKE WIPPERFÜRTH